Ein deutsches Kino ohne Salzgeber?

Neulich bei der Verleihung der Teddy Awards – einer Veranstaltung, die gerne von Politiker:innen dafür genutzt wird, um breitenwirksam darauf hinzuweisen, dass Diversität, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt richtig und wichtig sind und man diese gegenüber extremistischen Tendenzen verteidigen muss. Das ist absolut richtig in meinen Augen – denn gerade jetzt ist (mal wieder) die schlechteste Zeit dafür, um still zu sein und nicht aufzubegehren!

Während ich allerdings so den Reden und Statements zuhöre, werde ich ziemlich wütend. Am 15. Februar, also just am Tag der Eröffnung der Berlinale, wurde von der BKM der Referentenentwurf zur Novellierung des Filmförderungsgesetzes veröffentlicht. Diese Novellierung stand schon seit längerer Zeit an und ist auch dringend notwendig, denn unser jetziges Filmförderungsgesetz, das die Förderoptionen für sämtliche Sparten wie Projektentwicklung, Drehbuch, Produktion aber auch Verleih festlegt, ist von 1967 und seitdem nicht in die Neuzeit geholt worden.

Um was geht es? Aus meiner Perspektive geht es um nichts weniger als die Zukunft und das Überleben!

Wir bei Salzgeber widmen uns aus Überzeugung Filmen und Filmemacher:innen, die oftmals im Förderdschungel durchrutschen. Wir stehen seit jeher ein für Erstlingsfilme, begleiten Filmemacher:innen mit unserer Expertise bei den ersten Schritten und widmen uns Stoffen, die für andere als zu gewagt, zu „schwierig“, zu abseitig gelten. Unsere Projekte sind oftmals Kulturarbeit, ja auch gesellschaftliche Arbeit. Ohne Verleihförderung würde das so nicht mehr gehen.

Tatsächlich war es für uns schon bisher schwieriger, da wir häufig durchs Förderraster geflogen sind. Warum ausgerechnet amerikanische Majors hohe Summe aus der kulturellen Verleihförderung erhalten haben, während wir und andere mittelständische Verleihunternehmen oftmals ganz leer ausgegangen sind, hat schon in der Vergangenheit großes Unverständnis ausgelöst.

Doch das, was jetzt auf dem Tisch liegt, würde die Lage nochmal drastischer verschlechtern – es wäre ein K.O.-Moment für unsere Arbeit!

Ich erlaube mir, etwas auszuholen, denn manchen mag es gar nicht bekannt sein, dass bis zum Stadium der Produktionsförderung mehrheitlich die inhaltlichen Aspekte eines Projekts für eine Förderung ausschlaggebend sind – wobei auch hier in der Vergangenheit die Gewohnheit Einzug gehalten hat, eine wirtschaftliche Positivbilanz des potentiellen Verleihs beizulegen. Ab Verleih sind dann die wirtschaftlichen Kriterien maßgeblich.

Nun stellen sich mir Fragen: Ist Film nur Wirtschaftsgut? Leisten Film und Kino keinen gesellschaftlichen Mehrwert? Reicht es, wenn ein Film „nur“ gemacht, nicht aber auch herausgebracht und sichtbar gemacht wird? Ist es sinnvoll, dass Kino und Verleih seit Jahrzehnten stiefmütterlich in der Förderpolitik behandelt werden?

Meine Antwort auf all diese Fragen ist immer dieselbe: ein klares Nein.

Die Filme von Volker Koepp, z.B. „Gehen und Bleiben“, sind historische und gesellschaftliche Dokumente, die sich mit deutscher Geschichte auseinandersetzen und dabei einen Einblick in die Jetztzeit liefern. Filme wie „Piaffe“ von Ann Oren strotzen vor künstlerischem Eigensinn und der Vision, Kino neu zu denken. Filme wie „Drifter“ von Hannes Hirsch sind zeitgemäß und bilden die heutige Lebensrealität ab. Für all diese genannten Titel haben wir im letzten Jahr erfreulicherweise Förderungen von der BKM erhalten, die uns die Herausbringung erleichtert haben. Das Geld hat es ermöglicht, mit den Filmen in die Breite zu gehen, Regisseur:innen auf eine Kinotour in mehrere Städte zu schicken, Anzeigen und Werbung zu schalten, eine starke Sichtbarkeit für die Filme zu schaffen.

Nach dem vorliegenden Referentenentwurf würden wir jedoch bei all diesen Filmen leer ausgehen und keinen Cent Unterstützung für die Herausbringung erhalten. Es wäre der Sargnagel für uns – und für die deutschen Filme, die sich was trauen, aber auch für den Nachwuchsfilm, von dem man nicht erwarten kann, dass er gleich die großen Kassen füllt. Und es wäre ein weiteres Armutszeugnis für den Filmstandort Deutschland.

Seit vielen Jahren versuchen Verbände ins Gespräch mit politischen Entscheidungsträger:innen zu kommen, um die Missstände in der Förderpraxis zu korrigieren und ein nivellierendes Element zu implementieren, das eine Förderung nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch künstlerischen Kriterien gewährleisten würde. Leider kann man sagen, dass sich das Interesse für die Belange von Verleihfirmen bei diesen Gesprächen bisher sehr in Grenzen hielt.

Übergreifend wurde eine automatische Förderung auf Verleihebene gefordert, um ähnlich dem europäischen Modell „MEDIA“ eine gewisse Planbarkeit und Sicherheit zu installieren. Auch hier zur Verständlichkeit: Jedes Jahr werden die Zuschauer:innenzahlen aller europäischen, nicht-deutschen Filme, die ein Verleih herausgebracht hat, addiert, um dann letztlich nach bestimmten Länderschlüsseln eine Fördersumme zu generieren. Die muss dann im Folgejahr wieder in Lizenzen oder Herausbringungskosten für europäische Filme investiert werden. Dieses Modell ist deswegen so großartig, weil es ein ausgleichendes Moment hat: Filme, die viele Besucher:innen machen, helfen so Filmen, die es vielleicht etwas schwerer haben. Und beides schließt einander nicht aus. Nebenbei bemerkt ist der Antragsprozess einer der einfachsten überhaupt und in der Abwicklung wesentlich unaufwendiger als jede andere Förderabrechnung auf Bundes- oder Landesebene in Deutschland.

Im jetzt vorliegenden Entwurf der BKM wurde auf Verleihebene zwar die gremienbasierte Förderung durch eine automatische Förderung ersetzt, aber Geld soll es erst ab 10.000 Referenzpunkten geben. Referenzpunkte werden durch Zuschauer:innenzahlen und Teilnahmen auf renommierten Festivals erworben – quasi wie ein Prämienpunktesystem. Salzgeber wird dadurch in ein Dilemma manövriert, denn viele unserer Filme laufen nicht in den Hauptwettbewerben jener wenigen Filmfestivals, die gelistet sind; und viele unser Nachwuchsfilme oder dezidiert queeren Filme erreichen auch leider nicht zwingend 10.000 Besucher:innen.

Mehr deutsche Festivals auf die Festivalliste zu stellen, um dadurch Filmen, die dort laufen, eine „kulturelle Auszeichnung“ und damit Referenzpunkte zu verschaffen, würde das Problem aber auch nicht lösen. Vielmehr würde das die Abhängigkeit von Verleih zu Festivals fatal verstärken: Filmfestivals sind ein wirtschaftliches Standbein in der Auswertung, und genau dieses würde dadurch torpediert, wenn die Position des Verleihs geschwächt würde. Unabhängig davon, dass man sich auch die Frage stellen könnte, wer eigentlich letztlich die Kompetenz hat, Filme als kulturell wertvoll zu deklarieren. Es wäre schlicht eine Auslagerung der Verantwortung, die man mit einer gerechteren und sinnvolleren Gremiengestaltung – kürzere Rotation der Gremienmitglieder, angemessene Vergütung, diverse Besetzung – hätte vermeiden können.

Daneben ist der vorgelegte Referentenentwurf auch schlicht kein ganzheitlicher Blick: Weder Kino noch Verleih noch Filmbildung werden nennenswert erfasst. Es ist tatsächlich ein Entwurf, der maßgeblich den Produktionsfirmen zugewandt ist. Und da kommen wieder die oben erwähnten Fragen ins Spiel. Die kulturellen Aspekte sind bisher nicht ausgearbeitet. Die Richtlinien zur selektiven kulturellen Filmförderung aus BKM-Mitteln oder der Kulturbeirat und dessen Besetzung werden gerade mal am Rande erwähnt.

Das darüber hinaus im Referentenentwurf vorgeschlagene Tax-Incentive-Verfahren ist ebenso nicht für die Verleiharbeit gedacht, sondern lediglich für die Produktionsfirmen ausgelegt, die für jeden ausgegebenen Euro Steuererleichterung und damit auch eine indirekte Förderung erhalten. Zudem soll dieses Verfahren über die Länder finanziert werden. Mir stellt sich dabei auch die Frage, welche Auswirkungen das auf regionale Förderungen haben wird, die dann letztlich als einzige „Anlaufstellen“ für uns blieben. Man kann davon ausgehen, dass diese Töpfe dann auch schrumpfen werden.

Mal wieder zeigt sich hier also die seit Jahrzehnten geltende Unverhältnismäßigkeit zwischen Produktions- und Verleihförderung. Zwar stehen laut jetzigem Papier 25% des Fördervolumens der Verleihförderung zu (davor waren es 21,5%). Gleichzeitig werden aber dem Verleih weniger Mittel zur Verfügung stehen, denn die Kinoabgaben werden erhöht, die Referenzmittel müssen direkt an die Produktionen weitergegeben werden und vor allem wird der Fördertopf insgesamt kleiner. Das vorliegende Modell wird also letztlich dazu führen, dass weniger Geld in die Auswertung investiert wird, weil weniger da sein wird; und das wird wiederum zu weniger verkauften Kinotickets führen.

Klar ist: Die Verleihförderung muss mindestens auf 35% des Fördervolumens erhöht und gleichzeitig muss eine ergänzende BKM-Förderung nach kulturellen Kriterien eingeführt werden, die mit einem ähnlichen Etat ausgestattet ist wie die im Entwurf dargestellte Referenzförderung. Nur so werden kulturell wertvolle Filme nicht in der totalen Unsichtbarkeit begraben.

Wir brauchen ein anderes politisches und kulturelles Verständnis und den entsprechenden Weitblick, damit Firmen wie Salzgeber zukünftig noch ihre Arbeit machen können. Es braucht die Bereitschaft, Film in all seinen Facetten zu sehen und zu unterstützen – und zu erkennen, was Film als Kunst- und Diskurselement leisten kann. Kino darf nicht als reines Wirtschaftsgut im Kapitalismus verenden.

Diesen Brief möchte ich mit ein paar entscheidenden Fragen abschließen: Welche Filme wollen wir zukünftig im Kino sehen? Welche Gesellschaftsgruppen sollen sich im Kino wiederfinden können? Soll Kino ein Ort des Diskurses bleiben? Wollen wir auch mal nachdenklich aus dem Kino nach Hause oder in die Kneipe nebenan gehen? Wollen wir neue Perspektiven kennenlernen? Wollen wir wirklich Diversität, Vielfalt in Kunst und Kultur fördern? Für meinen Part kenne ich die Antworten – ich hoffe nur, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien noch nicht so festgefahren ist und sich selbst bei ihren eigenen Worten zur Verteidigung von Diversität nimmt, die sie während der Teddy Awards so selbstverständlich postuliert hat.

Jakob Kijas, 11. April 2024

Hier gibt es den Brief als PDF.