Jetzt im Kino

Slow

ein Film von Marija Kavtaradze

Litauen/Spanien/Schweden 2023, 108 Minuten, litauische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Kinostart: 21. März 2024

FSK 12

Zur Besprechung in der Sissy

Slow

Als Tanzlehrerin Elena bei einem Kurs für gehörlose Jugendliche dem Gebärdensprachdolmetscher Dovydas begegnet, gibt es sofort eine Anziehung zwischen den beiden, eine unmittelbare Energie. Sie treffen sich wieder, verbringen Zeit miteinander, teilen erste Erinnerungen. Schnell bekommt ihre Freundschaft immer romantischere Züge. Doch als Elena auch Dovydas’ körperliche Nähe sucht, schreckt der zurück und offenbart ihr, dass er asexuell ist. Beide sind einander so wichtig geworden, dass sie trotzdem einen Weg als Paar finden wollen – mit einer Art von Intimität, die sich für beide richtig anfühlt.

In ihrem atemberaubenden Liebesfilm „Slow“ erzählt die litauische Regisseurin Marija Kavtaradze voller Empathie und visueller Kraft von der Beziehung zweier Menschen auf der Suche nach einer gemeinsamen emotionalen und körperlichen Sprache. Greta Grinevičiūtė und Kęstutis Cicėnas glänzen als zwei Liebende mit Respekt für die gegenseitigen Grenzen, aber auch mit individuellen Wünschen. Ihr elegant choreografierter Tanz entlang vermeintlicher Barrieren ist eine bahnbrechende filmische Erkundung von Asexualität. Kavtaradze wurde dafür in Sundance mit dem Regiepreis ausgezeichnet und ging mit „Slow“ für Litauen ins Rennen um den Oscar für den besten internationalen Film.

Trailer

IM KINO
KINOSTART AM 21. März

Alpirsbach

Sonntag, 12. Mai & Mittwoch, 15. Mai um 20:00 Uhr

Berlin

Donnerstag, 25. April, Samstag, 27. April, Montag, 29. April & Mittwoch, 1. Mai um 21:10 Uhr

Dresden

am Dienstag, 23. April um 18:00 Uhr

Frankfurt am Main

ab Donnerstag, 23. Mai

Freudenstadt

Freitag, 3. Mai & Montag, 6. Mai um 20:00 Uhr / Dienstag, 7. Mai um 17:30 Uhr

Fürth

Freitag, 21. Juni bis Sonntag, 26. Juni

Hannover

am Donnerstag, 25. April um 15:00 Uhr

Heidelberg

Freitag, 17. Mai & Dienstag, 21. Mai

Leipzig

Donnerstag, 16. Mai bis Samstag, 18. Mai

Pforzheim

Donnerstag, 2. Mai um 16:45 Uhr / Dienstag, 7. Mai um 18:00 Uhr / Mittwoch, 8. Mai um 20:15 Uhr

Schramberg

Samstag, 27. April um 17:30 Uhr / Montag, 29. April um 19:00 Uhr

Weingarten

Dienstag, 23. April & Mittwoch, 24. April um 18:00 Uhr

Interview
Marija Kavtaradze über ihren Filme

Worum geht es in „Slow“?

Es ist eine Liebesgeschichte, in der die Figuren versuchen, sich nicht von irgendwelchen Vorstellungen leiten zu lassen, wie Liebe auszusehen hat. Für mich geht es in „Slow“ um unterschiedliche körperliche Bedürfnisse und wie sich das auf die Beziehung auswirkt, um die Beziehung zum eigenen Körper, um die Erwartungen, die wir an Romantik haben, um Geschlechterrollen in Beziehungen, um das Bedürfnis, durch Begehren und Sex Anerkennung zu bekommen. Vor allem aber geht es um Selbstakzeptanz und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen.

Warum haben Sie „Slow“ als Titel gewählt? Trifft er auf die Beziehung im Film zu und wenn Ja, in welcher Weise?

Die ehrlichste Antwort wäre folgende: Der Produzent bat mich, einer Geschichte, an der ich gerade schrieb, einen Titel zu geben, und sie erinnerte mich an einen Song, den ich zu der Zeit hörte, „Slow“ von Leonard Cohen. Hier ist der Text:

„I’m slowing down the tune
I’ve never liked it fast
You wanna get there soon
I wanna get there last
So, baby let me go
You’re wanted back in town
In case they want to know
I’m just trying to slow it down“

Ist „Slow“ auch eine Absichtserklärung bzw. eine Antithese in einer Welt, in der Geschwindigkeit zur Regel geworden ist?

Wahrscheinlich, in gewisser Weise. Ich glaube, dieser Film ringt mit vielen Überzeugungen, wie Beziehungen aussehen sollten. „Slow“ ist also wahrscheinlich einer der Wege, auf denen ich versuche, gegen jegliche Erwartungen anzukämpfen. Normalerweise erwarten wir, dass Beziehungen superschnell verlaufen (vor allem heutzutage), und wenn das nicht der Fall ist, dann gehen wir zur nächsten Suche über. Das macht zwar Sinn, aber es beraubt uns auch vieler potenzieller Verbindungen, die wir langsam aufbauen könnten.

Inwiefern ist Tanz ein Weg die Körperlichkeit der Charaktere auszudrücken?

Ich denke, man kann alles durch Tanz ausdrücken. Eine meiner Lieblingsszenen (und auch eine der merkwürdigsten) ist die, in der Elena und Dovydas auf der Hochzeit tanzen. Er tanzt diesen albernen Tanz und kümmert sich überhaupt nicht darum, was die anderen denken. Elena, eine professionelle Tänzerin, macht es ihm nach, ist aber sehr verlegen. Sie macht sich Sorgen, dass die anderen nicht tanzen, und sie ist sich bewusst, wie albern sie aussehen. Es ist wunderschön, aber gleichzeitig denke ich, dass dieser Tanz bereits die größten Schwierigkeiten zeigt, denen sie begegnen werden. Also ja, ich denke, man kann alles durch den Tanz erzählen. Außerdem lernen wir durch den Tanz Elenas Körperlichkeit und ihr sinnliches Wesen kennen, und wir sehen auch ihre Wünsche und ihre Leidenschaft für das Leben und die Liebe.

Wie haben Sie Ihre Hauptdarsteller:innen gecastet? Die Chemie zwischen ihnen ist beeindruckend. Wie haben Sie sie auf die auf die Rolle vorbereitet?

Ich hatte volles Vertrauen in die Schauspieler:innen, und ich glaube, dass dies der einzig mögliche Weg (für mich) ist zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass ich sie vorbereiten musste. Wir haben viel geprobt und die Figuren entwickelt, das Drehbuch analysiert und gemeinsam Szenen erarbeitet. Für mich ist das ein sehr kreativer Prozess, und ich glaube, wir haben alle gleichermaßen zu den Figuren und ihrer Beziehung beigetragen.
Eines der Hauptkriterien, warum ich die beiden als Paar ausgewählt habe, war, dass ich schon beim ersten Treffen mit den beiden das Gefühl hatte, dass wir alle drei gut zusammenarbeiten und Spaß haben werden. Ich denke, dass daher schon die Chemie kam. Tatsächlich hatten sie sehr verschiedene Herangehensweisen an die Materie, und trotzdem haben sie etwas gemeinsam: Sie sind ein wundervolles Team. Ich denke, sie haben sich gegenseitig viel geholfen. Es hat mir Spaß gemacht, sie bei ihrer Arbeit und ihrem kreativen Prozess zu beobachten.

Wie haben Sie sie auf die Intimität am Set vorbereitet?

Ich bin froh, dass wir die Gelegenheit hatten, mit der Intimitätskoordinatorin (IK) Irma Pužauskaitė zu arbeiten. Sie ist eine litauische Filmregisseurin und die erste ausgebildete IK in den baltischen Ländern. Ich hatte die Idee, dass ich gerne eine IK für diesen Film hätte, und dann unterhielt ich mich während eines Workshops mit Irma und sie erwähnte, dass sie eine Ausbildung gemacht hat und jetzt an einigen Projekten als IK arbeitet. Ich wusste, dass wir sie brauchten, und ich hatte wirklich Glück, dass sie bei „Slow“ mitmachen konnte.
Sie zu haben, machte einen riesen Unterschied. Sie hat nicht nur mit den Schauspieler:innen über ihre Grenzen gesprochen und dafür gesorgt, dass sich alle (Schauspieler:innen und Crew) sicher fühlten, sondern wir konnten auch wirklich tief in jede intime Szene eintauchen. Wir haben jede Bewegung besprochen und geprobt und dabei das Wichtigste hervorgehoben. Mit ihr an Bord konnten wir uns voll und ganz auf die Szenen konzentrieren und mussten uns keine Sorgen machen, uns unbeholfen oder verloren zu fühlen.

War die Wahl einer Tänzerin als Heldin etwas, das von Anfang an klar war?

Ja, ich wusste von Anfang an, dass Elena eine Tänzerin sein würde, und das hat mir geholfen, die ganze Geschichte zu gestalten. Der Tanz ist ihr Platz, ihre Welt, ihre Worte. Sie kann ihre Gefühle nicht immer verstehen oder in Worte fassen – sie muss sich bewegen, um zu denken, um sich selbst zu verstehen.

Sind Sie mit der Welt des Tanzes vertraut?

Ich liebe das Filmemachen, weil es einen in verschiedene Welten bringt. Jedes Mal, wenn ich eine neue Geschichte schreibe, ist die Recherche einer der interessantesten Teile. Dadurch lernt man verschiedene Menschen und Gemeinschaften kennen und verstehen. Dieser Film hat mir drei Welten eröffnet: den Tanz, die Gehörlosengemeinschaft und die Ace-Community. Natürlich gibt es noch viele Dinge, die ich über diese Gebiete lernen muss, aber ich war wirklich daran interessiert, tiefer einzutauchen und diese Bereiche und die Menschen darin etwas besser kennen zu lernen.
Ich fühlte mich von Tanz und Tanzaufführungen angezogen, war aber nie eine Expertin (und bin es auch jetzt nicht), aber die Vorbereitungen für den Film haben mich natürlich dazu gebracht, mich mehr damit zu beschäftigen. Die Hauptdarstellerin Greta Grinevičiūtė hat mir bei der Beantwortung einiger Fragen sehr geholfen. Außerdem versuche ich zu verfolgen, was im Theater allgemein so passiert. Tanz ist einer der interessantesten und lebendigsten Teile des Theaters in Litauen.

Ist die Hauptdarstellerin eine Tänzerin mit schauspielerischen Fähigkeiten oder eine Schauspielerin, die für die Rolle Tanzen erst gelernt und trainiert hat?

Greta Grinevičiūtė ist Tänzerin und Choreografin und promoviert derzeit über die Beziehungen zwischen Tanz und verschiedenen Medien. Sie arbeitet auch als Schauspielerin in einigen Aufführungen. (Ich habe sie in einem Theaterstück gesehen, noch bevor ich das Drehbuch geschrieben habe, und sie ist mir im Gedächtnis geblieben.) Auch wenn sie versuchte zu leugnen, dass sie Schauspielerin ist, war die Arbeit mit ihr eine großartige Erfahrung und sie war eine der professionellsten und fleißigsten Schauspielerinnen, mit denen ich je gearbeitet habe. Ich würde also mit großer Bestimmtheit sagen, sie ist eine Tänzerin und eine professionelle Schauspielerin.

War es einfach, die männliche Rolle zu besetzen?

Ich dachte, es würde schwieriger werden, aber als ich Kęstutis bei einem ersten Casting kennenlernte, war ich mir sicher, dass es klappen würde. Außerdem brachte Kęstutis viel in die Rolle ein und half mir, den Charakter von Dovydas aufzubauen. Und er war mein Berater in der “Männerwelt”. Kęstutis ist ganz anders als Dovydas im wirklichen Leben, aber er hat es geschafft, so viel Mitgefühl und Liebe für seine Figur aufzubringen. Kęstutis hat eine sehr analytische Herangehensweise und arbeitet gerne viel in der Theorie, bevor es an die Proben geht, aber als wir dann auf der Bühne standen, war er offen dafür, viele Dinge auszuprobieren und nach dieser Figur in sich selbst zu suchen. Ich denke, dass diese Mischung aus Analyse und Ausprobieren (und dabei mutig zu sein) sehr dabei geholfen hat, den Charakter von Dovydas zu finden und zu entwickeln.

Dem Film gelingt es sehr gut, die Zuschauer:innen in die Intimität der Figuren eintauchen zu lassen und gleichzeitig sehr respektvoll zu bleiben und jede Art von Voyeurismus zu vermeiden. Wie ist Ihnen diese Balance gelungen?

Ich fühlte mich meinen Figuren sehr nahe und verbrachte Zeit mit ihnen, anstatt sie aus der Ferne zu beobachten. Vielleicht hat das geholfen? Außerdem sind alle Szenen, selbst die intimen, aus einem bestimmten Grund da: Sie helfen mir, eine Geschichte über ihre Beziehung zu erzählen.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen Ihr weiblicher Blick als Regisseurin geholfen hat, diese Geschichte mit der richtigen Art von Fürsorge gegenüber der Intimität Ihrer Figuren zu erzählen?

Beim Schreiben und Drehen des Films habe ich viel über den weiblichen und den männlichen Blick nachgedacht. Sogar der Film spricht in gewisser Weise darüber. Der männliche Blick ist etwas, das Elena am meisten vermisst. Nicht den Sex an sich, sondern das Begehrtwerden. Ich fand das interessant, denn als starke Frau würde sie unter anderen Umständen vielleicht versuchen, das zu verleugnen, oder es an sich selbst nicht akzeptieren. Als weibliche Regisseurin fühle ich mich in intimen Szenen mehr mit Elenas Charakter verbunden, so dass ich mir genau vorstellen kann, wie sie sich fühlt. Sie genießt keine sexuellen Interaktionen (außer ganz am Ende), so dass es mir leicht fiel, die Szenen nicht zu erotisieren und Elenas Gefühlen zu folgen.

Wie sind Sie vorgegangen, um diese Geschichte zu erzählen? Wie haben Sie das Drehbuch konstruiert? War dazu eine Menge Recherche nötig? Haben Sie mit Menschen aus der asexuellen Community zusammengearbeitet?

Während der Arbeit am Drehbuch habe ich hauptsächlich online recherchiert – ich habe über Asexualität gelesen, viel auf YouTube (und später Tik Tok) gesehen und so weiter. Außerdem habe ich ein paar Menschen kontaktiert, die sich als Asexuelle identifizieren, und sie waren sehr hilfreich bei der Beantwortung meiner Fragen. Bei der Recherche – dem Lesen von Foren (vom Asexuellennetzwerk AVEN), dem Anschauen von YouTube (Slice of Ace, AmeliaAce – beide wurden mir von meinem asexuellen Kontakt empfohlen) – wurde mir bestätigt, dass die Geschichten und die Beziehungen der einzelnen Personen zu ihrer Sexualität sehr unterschiedlich sind. Das gab mir die Zuversicht, Figuren zu schreiben, die ich für glaubwürdig hielt. Eine asexuelle Person schrieb mir in einer E-Mail in Bezug auf das Ende des Films: „Ja, wahrscheinlich wird es einigen Leuten nicht gefallen, aber Sie wissen ja – man kann es nicht allen recht machen.“ Das war ein wirklich einfacher Gedanke, aber er hat mich irgendwie ein bisschen beruhigt.
Sexualität ist ein so weites Feld, und ich glaube, es ist manchmal schwer, sich selbst genau einzuordnen, weil es in einer anderen Beziehung anders aussehen und sich sogar im Laufe der Zeit ändern kann. Deshalb habe ich mich auf diese speziellen Figuren konzentriert – ihre Liebesgeschichte und ihre Kämpfe.

Es ist interessant, dass die Gebärdensprache die erste Kommunikationsform der beiden Figuren in dieser Beziehung ist. Können Sie uns etwas über die Bedeutung und den Stellenwert für Sie erzählen?

Die Gebärdensprache ist eine sehr schöne Sprache, die in mancher Hinsicht auch sehr unmittelbar ist. Man muss die Leute benennen (ihnen Zeichennamen geben), und das basiert normalerweise auf ihrem Aussehen, man muss sehr konkret und deutlich sein, wenn man spricht. Natürlich gibt es auch eine Menge Poesie und viele verschiedene Kunstformen, die damit einhergehen (wie visuelles Geschichtenerzählen), aber im Allgemeinen bewundere ich die Direktheit der Sprache. Das kann man von der Beziehung unserer Figuren sicher nicht behaupten, und ich mochte genau diesen Unterschied.
Was ich auch sehr interessant finde und worüber ich erst nachgedacht habe, als wir für einen Film die Gebärdensprache lernten, ist, dass Gehörlose eigentlich so leicht Teil der hörenden Welt sein könnten, wenn nur alle von uns die Gebärdensprache beherrschen würden. Wir können ihre Sprache lernen – aber sie können nicht unsere lernen. Dovydas erwähnt in einer Szene, dass sein Bruder taub ist und seine Eltern hofften, dass „er sich ändern wird“. Das ist eine wirklich kleine Sache in dem Film, aber für mich erinnert sie an die Unterdrückung, der gehörlose Menschen ausgesetzt waren (besonders während der sowjetischen Besatzung in meinem Land). Die Menschen wurden gezwungen, ihre Stimme zu benutzen, und es wurde ihnen verwehrt, in Gebärdensprache zu sprechen. Das ist wirklich furchtbar, aber in manchen Familien ist das immer noch so (vor allem, wenn die Eltern nicht taub sind). Ich sage dies alles, weil es mich in gewisser Weise daran erinnert, dass wir nicht in der Lage sind, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, und dass wir stattdessen manchmal glauben, dass sie sich ändern können. Das ist auch eine Parallele zur Asexualität.

Kann man sagen, dass beide eine visuelle Sprache praktizieren: sie die des Körpers, er den Tanz der Worte?

In gewisser Weise, ja. In ihren visuellen Sprachen sind sie sicherer als im gesprochenen Wort. So viele Dinge bleiben ungesagt.

Die Rocksongs im Film sind extra für den Film entstanden. Können Sie uns sagen, woher die Künstler:innen kommen und welche Bedeutung diese Lieder haben?

Die meisten der Lieder stammen von unseren Komponist:innen Irya Gmeyer und Martin Hederos. Ich fühlte mich von der besonderen Stimme von Irya und der Atmosphäre ihrer Lieder angezogen. Außerdem hat Irya die Originalmusik für den Film komponiert. Die Musik und die Lieder von Irya und Martin verleihen der Geschichte so viel Romantik. Die Lieder, die Dovydas übersetzt, stammen von litauischen Künstler:innen. Das erste Lied „Klausyk, meloji“ („Hör mal, meine Liebe“) wurde vom legendären litauischen Elektronikkomponisten Teisutis Makačinas komponiert und wird von der litauischen Mädchenrockband Rockband SHISHI gesungen. Der zweite Song „Troškimas“ („Sehnsucht“) stammt von der litauischen Sängerin Monika Liu und wird auch von ihr vorgetragen. Sie war unser Eurovisions-Beitrag im Jahr 2022. Sie hat ein ganzes Album mit diesen romantischen Liedern im Stil des litauischen Varietés der sechziger Jahre veröffentlicht. Ein weiterer litauischer Künstler, dessen Lied wir verwenden, ist der R&B-/Hip-Hop-Musiker Free Finga. Wir hören sein Lied „Testosteronas“ („Testosteron“), als Elena sich auf ein Date vorbereitet.

Ist der einzige Kompass der beiden: „Ich werde dich nicht ändern, und mich auch nicht“?

Ich glaube zu 100 %, dass sie es sagen würden. Wenn er es sagt, warnt (oder testet) er sie. Sie stimmt ihm zu und sagt das Gleiche. Und warum? Meine Mutter sagte, nachdem sie einen Film gesehen hatte: Diese Geschichte konnte nicht funktionieren, weil sie nichts an sich selbst geändert haben. Vielleicht hat sie Recht. Normalerweise hat sie Recht.
Ich finde es interessant, dass wir hoffen, mit einem anderen zusammen sein zu können, ohne wirklich etwas zu ändern. In Fall unseres Films gibt es natürlich viele Dinge, die sie nicht ändern können – Dovydas kann seine Sexualität nicht ändern und Elena kann nicht ihre körperlichen Bedürfnisse ändern, aber sie könnten in jedem Fall die Art ändern, in der sie miteinander kommunizieren. Ich finde es interessant, dass Elena diejenige ist, die anbietet, eine exklusive Beziehung zu führen, und Dovydas derjenige ist, der anbietet, über eine offene Beziehung zu sprechen. Beide versuchen, die Bedürfnisse des anderen zu erraten und schlagen etwas vor, das sie jeweils eigentlich nicht wollen.

Sie müssen den Begriffen Loyalität, Männlichkeit und Eifersucht ihre eigene Bedeutung geben. Das gibt den Zuschauer:innen die Möglichkeit, auch darüber nachzudenken?

Auf jeden Fall. Ihre Beziehung war für mich ein Puzzle, ein mathematisches Problem, das ich lösen musste. Deshalb hat mir der Schreibprozess so viel Mühe und gleichzeitig so viel Spaß gemacht. Ich musste alles, was ich über Beziehungen dachte, neu überdenken, und alles, was allgemein als „richtig“ und „selbstverständlich“ gilt, in Frage stellen. Es war so interessant, die Reaktionen der Leute zu beobachten, wenn ich ihnen erzählte, worum es in meinem Film geht. Manche Leute verstummten und fingen an, nachzudenken und es sich durch den Kopf gehen zu lassen („Könnte ich das machen?“). Andere sagten sofort: „Es ist unmöglich! Sie werden es nicht schaffen!“

Wenn man eine Geschichte über Liebe ohne Sexualität erzählt und eine Tänzerin mit Kurven zeigt, will man dann gegen die Klischees ankämpfen?

Ich habe diese Theorie. Es gibt so viele Klischees in Geschichten (und in unseren Köpfen), nicht weil das Leben so oder so ist, sondern weil wir immer wieder dieselben Dinge schreiben, weil wir sie auf der Leinwand sehen. Es gibt nichts in meinem Film, was nicht passieren könnte, ich denke mir nicht alles aus. Ich beobachte einfach gerne die Welt, und dann möchte ich so wahrhaftig wie möglich sein. Ich möchte verschiedene Menschen auf der Leinwand sehen, verschiedene Arten von Beziehungen, Menschen, die verloren sind, Menschen, die keine Beziehung haben, oder solche, die eine haben, diese aber kaum definieren können. Vielleicht ist es ja doch ein Kampf. Ich glaube, es langweilt mich einfach, nur eine Art und Weise zu sehen, wie Menschen leben (so wie der betrunkene Dovydas im Auto spricht).

Biografie

MARIJA KAVTARADZE (Regie & Buch), geboren 1991 in Vilnius, studierte Filmregie an der Litauischen Akademie für Musik und Theater und schloss ihr Studium 2014 ab. Ihr Debütspielfilm „Summer Survivors“ wurde 2018 in Toronto uraufgeführt, lief hernach auf zahlreichen Festivals und wurde u.a. nach Italien, Albanien und Lettland verkauft. In Litauen erreichte der Film 26.000 Besucher:innen, was ihn zum umsatzstärksten unabhängig produzierten litauischen Film des Jahres 2019 machte. Seit „Summer Survivors“, der auch mit drei Preisen der Litauische Filmakademie ausgezeichnet wurde, gilt Marija Kavtaradze als vielversprechendste Filmemacherinnen ihres Heimatlandes. Ihr zweiter Film „Slow“ feierte Premiere in Sundance und wurde dort mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet.

Filmografie (Auswahl):

  • 2016

    „Šventasis“ (Buch)

  • 2018

    „Summer Survivors“ (Regie & Buch)

  • 2021

    „Begike“ (Buch)

  • 2023

    „Slow“ (Regie & Buch)

Credits

Crew

Regie & Buch

Marija Kavtaradze

Kamera

Laurynas Bareiša

Setdesign

Sigita Šimkūnaitė

Schnitt

Silvija Vilkaitė

Musik

Irya Gmeyner, Martin Hederos, Vincent Barrière

Choreografie

Anna Vnuk

Sounddesign

Diego Staub

Kostüme

Fausta Naujalė

Make-up

Jurgita Globytė

Produktionsleitung

Justinas Pocius, Rūta Petronytė

Koproduzentinnen

Luisa Romeo, Anna-Maria Kantarius

Beteiligte Produzentin

Brigita Beniušytė

Produzentin

Marija Razgutė

Cast

Elena

Greta Grinevičiūtė

Dovydas

Kęstutis Cicėnas

Eine Produktion von M-Films
in Koproduktion mit Frida Films, Garagefilm International AB, Film Stockholm
mit Unterstützung von Lithuanian Film Centre, Institute of Cinematography / Ministry of Culture
and Sport / Spanish Government, Swedish Film Institute, Creative Europe MEDIA, Axencia Galega das Industrias Culturais / Xunta de Galicia, Sweden-Lithuania Cooperation Fund
im Verleih von Salzgeber