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Minjan

ein Film von Eric Steel

USA 2020, 118 Minuten, englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

FSK 16

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Minjan

David stammt aus einer russischen Einwandererfamilie und nimmt als guter Sohn regelmäßig an den Gottesdiensten seiner jüdischen Gemeinde teil, um das Quorum zu erreichen. Doch als Junge, der auf andere Jungs steht, fühlt er sich von den strengen Regeln seiner Community mehr und mehr eingeengt. Ausgerechnet die Nachbarn seines Großvaters, ein älteres schwules Paar, lassen ihn die Möglichkeiten von homosexueller Liebe erahnen – aber auch die plötzliche Vergänglichkeit allen Lebens. David beginnt, sein Begehren in den Bars und Clubs des East Village zu erkunden.

In seinem vielschichtigen Regiedebüt erzählt Eric Steel von einem sexuellen Erwachen, vom Bruch mit tradierten Werten und einem Glaubenskonflikt inmitten eines noch nicht gentrifizierten New Yorks, das gleichwohl bereits unter dem verheerenden Eindruck von HIV/Aids steht.

Trailer

Director’s Statement
Eric Steel über seinen Film

Es gibt eine bestimmte Art, wie sich Fremde durch fremde Orte bewegen. Immigranten, Juden, Homosexuelle – um zu überleben, haben sie gelernt, scharf zu beobachten, zuzuhören statt zu reden, stets auf der Hut vor Bedrohungen zu sein. Sie tragen Geschichte auf ihren Schultern und begnügen sich mit weniger für eine aussichtsvolle Zukunft. Das ist die DNA und der Ethos von „Minjan“ – und zugleich die Art, wie ich mich selbst durch mein Leben bewegt habe. Herauszufinden wer ich war, war mit Schmerz und mit sexueller Erkundung verbunden. Jeder Einzelne aus meinem ersten schwulen Freundeskreis war tot, ehe die 1990er Jahre anfingen – jeder außer mir. Ich wusste nie wirklich, was Schatten und was Licht war. Ich fand Trost und war fasziniert von den Geschichten, die mir meine Großeltern erzählten, von ihrer Geheimniskrämerei und ihrem jiddisches Flüstern… und ich fand Antworten, eine Art Zuhause in Büchern. Mich ziehen die Ecken und Kanten von Dingen an, Momente in einer besonderen Balance und Spannung – wie hier zwischen Angst und Freiheit, zwischen Sichtbarkeit und Verborgenheit, zwischen der Frische und Unerfahrenheit der Jugend und dem Ernst des Alters. Inspiriert hat mich eine Zeile von James Baldwin, die ich in ein altes Notizbuch geschrieben habe, als ich auf der Highschool war, und die nun in „Minjan“ eine zentrale Rolle spielt: „Geh dahin zurück, wo Du hergekommen bist, oder so weit zurück, wie Du kannst, begutachte alles, trete Deine Reise erneut an und sei ehrlich dabei. Singe und rufe es hinaus, verkünde es oder behalte es für Dich selbst; aber wisse, woher Du gekommen bist.“

Interview
Das schleichende Gefühl einer existenziellen Bedrohung – Im Gespräch mit Eric Steel

Wie führte Dein Karriereweg als Hollywood-Produzent und Dokumentarfilmemacher zu „Minjan“?

Am College war ich als Produktionsassistent tätig. Dann zog ich nach L.A. und bekam einen Job bei Disney. Ich arbeitete Mitte der 1980er Jahre für Jeffrey Katzenberg und Michael Eisner, was so eine Art Grundausbildung im Filmemachen bedeutete. Zu dieser Zeit hatte ich gegenüber meinen Eltern schon mein Coming-out und mir war klar, dass ich nicht so etwas wie „Jenseits von Afrika“ machen würde. Ich dachte aber auch nicht, dass es möglich sein würde, eine schwule Geschichte zu erzählen, die auf meinen eigenen Erfahrungen beruht. Also beschloss ist, ein guter Produzent zu werden.

Und dann hast Du Deinen Weg zum Independentfilm in New York City gefunden …

Nachdem ich ein paar Jahre bei Disney gearbeitet hatte, wurde meine Schwester von einem betrunkenen Fahrer getötet und ich kam zurück in meine Heimat New York City. Ich bekam einen Job bei Cinecom, dem einzigen Arthouse-Verleiher zu dieser Zeit. An der Wand des Büros hing ein Filmplakat von „Maurice“ – es fühlte sich also gut an, dort zu arbeiten. Aber die Firma machte dicht und so war ich eine Weile im Verlagswesen tätig, als Herausgeber von Sachbüchern, darunter vielen Memoiren. Eines Tages rief mich Scott Rudin an, um die Rechte für ein Buch anzufragen, das ich herausgegeben hatte. Er kannte mich noch von Disney und schlug vor, dass ich für ihn arbeite, um Bücher auf die Leinwand zu bringen. Zusammen machten wir „Die Asche meiner Mutter“ und „Bringing Out the Dead“ – plötzlich stand mein Name auf einem Film von Martin Scorsese…

Aber es reizte Dich immer noch, Deine eigenen Filme zu machen…

Im Jahr 2000 beendete ich den Entwicklungsjob bei Rudin, weil ich wusste, dass ich eine starke Stimme im Filmgeschäft sein wollte. Ich wollte nicht hinter einem Schreibtisch sitzen. Also ging ich nach San Francisco und machte diesen Dokumentarfilm über die Golden Gate Bridge. Ich brachte mir selbst bei, wie man eine Kamera benutzt, habe rudimentäre Schnitt-Kenntnisse entwickelt und mich mit den grundlegenden Business-Dingen vertraut gemacht, wie dem Leihen von Kameras, der Versicherung, Arbeitsverträgen, dem Kontakt zu Agenten und Käufern. Und so entstand „The Bridge“. Währenddessen habe ich erkannt, dass es das ist, wo ich hin will.

Wo befandest Du Dich gerade in Deinem Leben und was hast Du empfunden, als Dir die Kurzgeschichte von David Bezmozgis, auf der „Minjan“ basiert, zum ersten Mal begegnet ist?

Das war in einem Buchladen während des Drehs von „The Bridge“ im Jahr 2004. Die Geschichte zu lesen fühlte sich an wie eine Erinnerung der Sinne. Ich erinnerte mich an das Haus meiner Großeltern in der Bronx, wo die Leute Jiddisch redeten, ich konnte die Zwiebeln riechen, die gekocht wurden, die Essiggurken, die gehackte Hühnerleber…

Du hast also direkt das filmische Potenzial erkannt…

Ich habe nicht sofort an einen Spielfilm gedacht. Es war eher so, als würde ich ein klangvolles Gedicht entdecken. Ich erlernte gerade erst das Filmhandwerk, also habe ich nicht in solch großen Dimensionen gedacht. Ich stellte mir vor, einen Kurzfilm aus der zehnseitigen Geschichte zu machen, also rief ich die Agenten von Bezmozgis an – doch die lehnten ab. Aber ich konnte den Stoff nicht vergessen und kam immer wieder darauf zurück, selbst als ich ein paar Jahre später meinen zweiten Dokumentarfilm „Kiss the Water“ machte.

Wie haben Dich diese Dokumentarfilme darauf vorbereitet, „Minjan“ zu machen?

Als ich „The Bridge“ machte, dachte ich, ich drehe einen Film über suizidale Menschen – Menschen, die nicht wie ich waren, andere Leute, weit weg von mir. Am Ende des Projekts begriff ich, dass es unmöglich ist zu wissen, was Menschen im Inneren fühlen, gegenüber dem, wie sie nach außen hin rüberkommen – und dass wir in vieler Hinsicht alle bestimmte Gefühle teilen: Verzweiflung, Verlust, Hoffnungslosigkeit. Ich sah gewissermaßen Teile meiner selbst auf der Leinwand, als könnte ich in mich hineinsehen. Und das hat mich dem Filmemachen nähergebracht.

Wie konntest Du David Bezmozgis davon überzeugen, dass Du seine Kurzgeschichte adaptieren darfst, und welche Veränderungen hast Du vorgenommen?

Als ich ihn schließlich dazu bringen konnte, mir eine Option auf die Verfilmung zu geben, hatte er eine Bedingung: Ich sollte den Film zu meiner eigenen Geschichte machen, nicht zu seiner. Das war der beste Segen beziehungsweise die beste Herausforderung, die mir jemals jemand gegeben hat. Ich habe die dokumentarische Arbeit erledigt – habe über russische Juden und Immigranten recherchiert, wie deren Leben war; aber ich habe die Kurzgeschichte, die Teil einer Sammlung von mehreren Geschichten aus dem Leben von Bezmozgis als immigrierter russischer Jude in Toronto in den 1980 Jahren war, mit dem kombiniert, was ich selbst als junger schwuler Mann im NYC der 1980er Jahre erlebt habe, auf der Suche nach mir selbst, während Aids die Community auf erschreckende und drastische Weise traf.

Kannst Du die Kurzgeschichte in eigenen Worten beschreiben?

Die Kurzgeschichte handelt von einem jungen Mann, David, dessen Großvater versucht, eine eigene Wohnung zu finden. Der einzige Grund, weshalb er dann eine Wohnung in einem Mietshaus erhält, ist, dass er ein frommer Jude ist und regelmäßig zu einem Minjan, einer Betgemeinde, erscheinen wird. Zufällig sind die Nachbarn zwei ungeoutete schwule Männer, von denen einer stirbt. Es kommt die Frage auf, ob der verbliebene Partner rausgeworfen wird, weil sein Name nicht im Vertrag steht. Es ist eine Geschichte über die Prüfungen der Freiheit und der Empathie in der freien Welt. Und ich denke, man kann die Ideen und Motive, über die Bezmozgis auf sehr persönliche Weise schreibt, noch sehr klar in dem erkennen, wie ich sie aus meiner eigenen Perspektive heraus schildere.

Wie haben Deine eigenen Erfahrungen des Aufwachsens in New York Deine Adaption beeinflusst?

„Minjan“ wurde zu einem Film, als ich bereit war, meine eigenen Jugenderlebnisse mit denen von David – der Hauptfigur der Kurzgeschichte – zu verbinden. Es geht im Grunde über mein erstes Coming-out in New York City in den 1980er Jahren, verschmolzen mit Davids Erfahrungen in der russisch-jüdischen Community in Toronto. Der Protagonist in der Kurzgeschichte ist nicht schwul, essenziell für Davids Identität ist aber, dass er in seine Community nicht richtig hineinpasst, dass er keinen Zugang zu der Sprache hat. Der Strang um die Yeshiva University, die David im Film besucht, besteht aus einer Reihe von Beobachtungen, die in anderen Geschichten der Kurzgeschichtensammlungen vorkommen. Die Idee, dass David zu sich selbst findet, habe ich mit meinem eigenen Leben verwoben. Ich bin in New York City an der Upper East Side aufgewachsen. Zwar wäre es nicht passiert, dass mich meine Eltern wegen meines Schwulseins rausgeworfen hätten, aber ich hatte doch zu kämpfen und fühlte mich unwohl und als Außenseiter, als ich aufwuchs. Ich wollte körperliche, sexuelle Erfahrungen sammeln – und das will David im Film auch. Lust und Begehren sind Dinge, die man als junger Mensch sehr stark empfindet.

Und schließlich flossen die Geschichten dann sehr elegant ineinander…

Während des Schreibens haben sich mir immer neue Wege erschlossen, wie sich meine Geschichte und die von David überlappen. Die wichtigste Verbindung ist das schleichende Gefühl einer existenziellen Bedrohung. Die Vorstellung, dass einfach nur die Tatsache, dass man sein Leben authentisch lebt und so ist, wie man ist, zum Tod führen kann, war eine erschütternde Erkenntnis, mit der man umgehen muss. Nicht zu wissen, wer leben und wer sterben wird, ist Teil und Last des Lebens eines Juden, eines Immigranten oder eines Homosexuellen. Ich will den Holocaust nicht mit irgendetwas gleichsetzen – er ist sui generis in seiner Brutalität und Grausamkeit, seinem Terror und seinen Massentötungen –, aber ich sah Parallelen darin, was Aids mit der schwulen Community gemacht hat, die Ausrottung von fast einer vollständigen Gruppe. Und ich glaube, dass Überlebende einen emotionalen Raum mit anderen Überlebenden teilen.

Welche Folgen hatte dein eigenes Coming-out?

Ich hatte mein Coming-out 1982, kurz bevor Aids zum Thema wurde. Es war großartig, meine Eltern reagierten wundervoll, man konnte nach Fire Island gehen und sein, wer man wollte, ohne Zurückhaltung. Aber innerhalb eines Jahres änderte sich alles. Im Jahr 1988 waren alle aus meinem ursprünglichen Freundeskreis tot – außer mir. Ich konnte nicht erklären, weshalb ich als Einziger überlebt hatte – es gab keine sinnvolle Begründung dafür. Ebenso wie Überlebende des Holocaust nicht einfach erklären können, weshalb sie es rausgeschafft haben und andere nicht. Es gab kein Regelwerk, dem man folgen konnte, keine Vorgaben, die das Überleben sicherten. Sobald diese Dinge in meiner Geschichte zusammenkamen, entstand eine Menge Energie.

Das Werk von James Baldwin spielt in Deiner Geschichte eine wichtige Rolle – vermutlich hatte er einen starken Einfluss auf Dich in Deiner Jugend?

Sein Werk machte einen großen Anteil meiner Ausbildung aus. Aber mir war gar nicht bewusst, dass er ein schwuler Expatriate war, als ich erstmals „Go Tell It on the Mountain“ las. Ich wusste, dass er ein schwarzer Amerikaner war. Dass er ein Fremder in einem fremden Land war, der niemals wusste, ob er seinem eigenen Land und sogar seiner eigenen Community angehört, wurde mir erst klar, als ich seine Werke später erneut las. Und Baldwins Texte riefen bei mir definitiv noch mehr Fragen hervor, was es bedeutet, irgendwo dazuzugehören – im Land, in der Community, in der Familie, sogar im eigenen Körper. Diese Fragen wirbelten in meinem Kopf herum, als ich das Drehbuch schrieb.

David ist auch ein intensiver Leser. Basiert das ebenfalls auf Deinen eigenen Erfahrungen?

Ich war eindeutig ein Buchmensch. Man konnte mich gar nicht genug mit Literatur und Poesie füttern, ich verschlang alles. So lernte ich auch viel übers Schwulsein. Aber es ist auch einfach die Magie von Geschichten. In „Minyan“ wird auf die Vorstellung eingegangen, dass Juden Büchermenschen sind – sie lesen die Tora, sprechen Gebete, erzählen sich die Geschichte von König David. Ein Teil der Freude, die David beim Erkunden der Welt durch Bücher hat, entspricht der Freude, die ich damals hatte. Es war, als würde ich das alles noch einmal erleben.

Kannst Du Deine Recherchen für den Film zum Judentum noch etwas beschreiben?

Ich wuchs ohne Religion auf. Meine Mutter wollte mich christlich taufen lassen. Meine Großeltern gehörten zu der Generation von Juden, die eine gewisse Angst davor hatten, es könnte zu ihrem Nachteil sein, als Juden erkannt zu werden; sie mussten sich deshalb genau überlegen, wie sie ihren Glauben praktizieren. Ich hatte schließlich ein Bedürfnis nach Spirituellem, weshalb ich viel Zeit damit verbracht habe, mich dem Judentum zu widmen. In Toronto traf ich mich mit russischen Juden, ich sprach mit Rabbis aus diversen Glaubensrichtungen, nahm an Kursen in Synagogen teil, lernte die Regeln des Talmud… womöglich nicht auf eine allzu organisierte Art und Weise, aber alles begann, mir etwas zu bedeuten.

Wann hast Du Dich entschlossen, den Schauplatz der Geschichte von Toronto nach Brighton Beach zu verlegen?

Ursprünglich wollten wir den Film in Toronto ansiedeln, da es dort eine ganz strikte geografische Verortung gibt, wo Juden leben. Es ist eine bestimmte Straße. Brighton Beach ist inzwischen sehr russisch, voller Oligarchen und Mafiosi. Aber in den 1980er Jahren war es sehr jiddisch; hier lebten auch Immigranten aus der Generation meiner Großeltern. Als die Russen herkamen, sprachen sie kein Englisch. Und die Juden, die bereits hier waren, sprachen Jiddisch. Die einzige Sprache zwischen ihnen wurde daher irgendwann Jiddisch. In den 1980er Jahren war Brighton Beach auch viel stärker religiös als heute – was etwas ist, dem David entkommen will. Es fühlte sich an wie die alte jüdische Heimat.

Wie kam es zum Casting von Samuel Levine als David?

Susan Shopmaker ist unsere Casting-Direktorin. Wir sind seit vielen Jahren befreundet. Wir hatten uns bereits viele junge Schauspieler angesehen; einige von ihnen waren fantastisch. Dann schlug Susan vor, nach London zu gehen, ein paar Stücke anzusehen und Schauspieler zu treffen. Und so sahen wir eine Vorstellung von „The Inheritance“ am New Vic. Es lief zu der Zeit schon eine Weile und war eine Sensation, war aber noch nicht ans West End umgezogen. Ich sah, wie Sam die Bühne betrat – und zunächst ist nicht ganz klar, welche Tricks er so drauf hat. Nach der Hälfte der zwei Teile drehte ich mich zu Susan und sagte: „Was hast Du mit mir gemacht?“ Sie hatte das ganz bewusst eingefädelt, im Wissen, dass Sam perfekt für die Rolle von David war. Ab diesem Punkt wusste ich, dass es niemanden sonst geben würde.

Wie hat er Dich so überzeugt?

Er spielt in dem Stück zwei unterschiedliche Figuren. Sie sind sehr verschieden, aber haben auch Verbindendes. Sam springt ganz meisterhaft zwischen diesen beiden Figuren hin und her. Und er strahlt als junger Schauspieler diese unglaubliche Gelassenheit aus und bringt diese Dualität zustande, ohne dabei zu theatralisch zu werden. Du glaubst ihm, dass er in der einen Sekunde die eine Figur und in der nächsten die andere ist – und immer wieder von Neuem. Wir mussten dann warten, bis das Stück am West End ausgelaufen war, ehe wir mit dem Dreh von „Minjan“ Anfang 2019 beginnen konnten.

Sam fügt sich in „Minjan“ auch nahtlos in eine Reihe älterer Schauspieler, darunter Ron Rifkin als Davids Großvater.

Ich hatte gesehen, wie gut Sam auf der Bühne an der Seite von Vanessa Redgrave spielte – daher wusste ich, dass er das kann. Er lächelte anders in der Gegenwart älterer Schauspieler – das funktionierte einfach. Ron ging mit meinem Ehemann und mir nach London, um „The Inheritance“ am West End zu sehen. Er konnte Zeit mit Sam verbringen. Die beiden hatten von dem Moment an, in dem sie sich trafen, eine großartige Chemie miteinander.

Dein Film enthält eine Szene mit ungeschütztem Sex, die der Geschichte noch eine sehr ernste Ebene hinzufügt, wenn man die Zeit bedenkt, in der die Geschichte spielt. War das beabsichtigt?

Es wäre naiv und falsch gewesen, zu behaupten, dass der einzige Sex, den schwule Männer nach der Entdeckung des Virus hatten, geschützter Sex war. Ich glaube nicht, dass die einzigen Menschen, die die Aids-Krise überlebt haben, diejenigen waren, die nur Oralsex oder geschützten Sex hatten. Schwule und Heteros hatten auch weiterhin ungeschützten Sex, da Leidenschaft und Sexualität unser Urteilsvermögen oftmals beeinflussen. Wie wir mit Ungewissheit umgehen, ist etwas, was alle Figuren im Film auf unterschiedliche Weise beschäftigt. Sie alle fühlen sich bedroht. David ist ein Immigrant aus Brighton Beach, der zunächst keine oder kaum eine Ahnung hat, was in der Welt, die ein paar U-Bahn-Stationen entfernt liegt, vor sich geht. Aber als er dazulernt, kann er auch tatsächlich seine Ängste abschütteln. Der Film handelt von solchen Momenten, in denen man versucht, man selbst zu sein, ganz authentisch und verletzlich, auch wenn man dabei ein Risiko eingeht.

Kannst Du die Bedeutung des Filmtitels beschreiben – und was er Dir persönlich als Filmemacher bedeutet?

Ein Minjan ist eine einfache Gebetsregel: Man benötigt zehn Männer, um einen vollständigen jüdischen Gottesdienst abzuhalten. Als frommer Jude beginnt man in dem Moment, in dem man aufwacht und sich die Hände wäscht, Gebete zu sprechen. Aber das sind private Gebete. Die großen, wegweisenden Gebete wie das Kaddisch müssen in der Gruppe gesprochen werden. Mit zehn Leuten nimmt es eine andere Dimension an. Ich denke, in einer Gruppe wird aus einem Gebet dann der Glaube. Plötzlich gibt es diese Kraft, die man nicht artikulieren kann. Beim Filmemachen ist es mit dieser Kraft ähnlich. Ein Drehbuch zu schreiben ist ein privater Akt – in gewisser Hinsicht wie ein Gebet: Ich bete, dass etwas passieren kann, es sind nur Worte auf dem Papier. Aber erst wenn ich ein Minjan von Mitspielern versammle – Schauspieler, Designer, einen Kameramann, ein Team –, dann passiert wirklich etwas. Die Idee des Minjan ist für mich also jeden Tag von Bedeutung: Ich schreibe etwas für mich selbst, aber ich brauche ein Team von Leuten, um alles zum Leben zu erwecken.

Biografien

ERIC STEEL (Buch & Regie & Produktion), Jahrgang 1964, studierte Kunstgeschichte in Yale und arbeitete als Verleger bei Simon & Schuster und Harper Collins. Als Autor schrieb er u.a. für das New York Times Magazine. Seine Filmkarriere begann er bei Walt Disney Pictures in Kalifornien im Jahr 1985. Später arbeitete er für Cinecom in New York. Bei Scott Rudin Productions entwickelte er u.a. Martin Scorseses „Bringing Out the Dead“ (1999) und Alan Parkers „Die Asche meine Mutter“ (1999). Zudem entwickelte und produzierte er Nora Ephrons „Julie & Julia“ (2009). Steel führte Regie bei zwei von der Kritik hochgelobten Dokumentarfilmen: „The Bridge“ (2006) über die Suizide auf der Golden Gate Bridge in San Francisco und „Kiss the Water“ (2013). „Minjan“ ist Steels Spielfilmdebüt. Er lebt in New York.

Filmografie (als Regisseur):
  • 2006

    „The Bridge“ (Dok.)

  • 2013

    „Kiss the Water“ (Dok.)

  • 2020

    „Minjan“

SAMUEL H. LEVINE (David), Jahrgang 1996, ist Absolvent der renommierten LaGuardia High School of Music & Art and Performing Arts in New York. Seine erste Filmrolle spielte er in „Empörung“ (2016) von James Schamus und war danach in den Hauptrollen in mehreren weiteren Independent-Filmen zu sehen, u.a. in „The Transfiguration“ (2016), „Yinz“ (2018) und „Alia’s Birth“ (2020). Im Theater glänzte Levine in Matthew Lopez‘ „The Inheritance“ in der Doppelrolle des aufstrebenden Schauspielers Adam und des Strichers Leo. Das Stück wurde zunächst im Londoner Young Vic und im Noel Coward Theatre gezeigt. Später spielte Levine es auch auf dem Broadway. Aktuell lebt er in Brooklyn.

Credits

Crew

Regie

Eric Steel

Buch

Eric Steel, Daniel Pearle

Produzenten

Luca Borghese, Ben Howe, Eric Steel, Luigi Caiola

Kamera

Ole Bratt Birkeland

Schnitt

Ray Hubley

Musik

David Krakauer, Kathleen Tagg

Produktionsdesign

Lucio Seixas

Cast

David

Samuel H. Levine

Josef

Ron Rifkin

Herschel

Christopher McCann

Itzik

Mark Margolis

Zalman

Richard Topol

Rachel

Brooke Bloom

Bruno

Alex Hurt

eine Produktion von Easy Tiger There und AgX
in Zusammenarbeit mit Caiola Productions

im Verleih von Salzgeber