Als VoD, DVD und BluRay

Futur Drei

ein Film von Faraz Shariat

Deutschland 2020, 92 Minuten, Originalfassung in Deutsch und Farsi mit deutschen Untertiteln

FSK 16

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Futur Drei

Parvis wächst als Kind der Millenial-Generation im komfortablen Wohlstand seiner Iranischen Einwanderer-Eltern auf. Dem Provinzleben in Hildesheim versucht er sich durch Popkultur, Grindr-Dates und Raves zu entziehen. Nach einem Ladendiebstahl leistet er Sozialstunden als Übersetzer in einer Unterkunft für Geflüchtete. Dort trifft er auf das iranische Geschwisterpaar Banafshe und Amon. Zwischen ihnen entwickelt sich eine fragile Dreierbeziehung, die zunehmend von dem Bewusstsein geprägt ist, dass ihre Zukunft in Deutschland ungleich ist.

In seinem autobiographischen Regiedebüt erzählt Faraz Shariat, Jahrgang 1994, authentisch und zugleich wundersam überhöht vom queeren Heranwachsen eines Einwanderersohns in Deutschland – und liefert damit einen entschlossenen Gegenentwurf zu einem konventionellen deutschen Kino, in dem post-migrantische Erlebnisse und Geschichten von Einwanderern und ihrer Familien allzu oft ausgeschlossen oder misrepräsentiert werden. Für sein sensibles, pop-affines und kraftvolles Plädoyer für Diversität wurde „Futur Drei“ beim First Steps Award 2019 als Bester Spielfilm ausgezeichnet, Shariats junges Darsteller:innen-Ensemble (Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali, Benjamin Radjaipour) erhielt den Götz-George-Nachwuchspreis. Auf der Berlinale 2020, wo der Film im Panorama seine Weltpremiere feierte, wurde „Futur Drei“ mit zwei Teddys (Bester Spielfilm, Leser*innen-Preis) geehrt.

Festival Futur 3.0

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Zum Streaming- und DVD/BluRay-Release von „Futur Drei“ haben wir vom 15. bis 18. April 2021 zusammen mit dem Filmkollektiv Jünglinge das Online-Festival „Futur 3.0“ veranstaltet. Auf der Festivalwebsite sind die dafür entstandenden Videos, die inhaltlich und thematisch an den Film anknüpfen, weiter verfügbar: Talks mit den Schauspieler*innen und Friends inkl. ASMR-Videos und Frühstücksfernsehen, Videoessays, Diskurspanel (u.a. zu Queer-Dating-Hierarchien), Deleted Scenes, ein alternatives Ende und vieles mehr. Viel Spaß beim Entdecken!

Trailer

Interview

Zusammen im Dazwischen: Ein Gemeinschaftsinterview mit Faraz Shariat (Regie, Buch & Produktion), Raquel Molt (Casting), Paulina Lorenz (Buch & Produktion), Friederike Hohmuth (Schnitt), Jakob Hüffell (Musik) und Klara Mohammadi (Kostüm)

Faraz, was hat Dich inspiriert, diesen Film zu machen?

Faraz: Im Jahr 2015 wurde ich nach einem Ladendiebstahl zu 120 Sozialstunden verurteilt. An meinem ersten Arbeitstag als Farsi-Deutsch-Übersetzer traf ich in der Unterkunft für geflüchtete Menschen, zu der ich geschickt wurde, einige sich engagierende Kommiliton*innen und habe mich sofort für die unsichtbaren Unterschiede in den Motivationen unserer Teilhabe geschämt. Meine Anwesenheit, das war mir sofort klar, brachte gewisse Suggestionen mit sich. Schließlich trage ich ja irgendwie eine ähnliche Geschichte wie die Bewohner*innen an mir und in mir. Wenig später machte ich eine Begegnung, die ich in den nächsten Monaten zwar nicht genauso aber ähnlich immer wieder erlebt habe: Als ich vor einer Schicht auf dem Vorhof eines Hildesheimer Hotels stand und eine Zigarette rauchte, kam einer der UMFs (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) auf mich zu und fragt mich nach Feuer. Er stellte diese Frage auf Dari. Ich antwortete mit schlechtem Farsi. Ein kurzer Moment des Innehaltens, dann die Erkenntnis: „Du bist hier geboren?“ – Ich nickte. – „Glück gehabt“. Ich erlebte ein erstes Coming-out: Als einer der „Glücklichen“, dessen Eltern schon vor mehreren Jahrzehnten den Schritt gewagt hatten und deren Frucht nun in Form einer hoffnungsvollen zweiten Generation hier stand und übersetzen sollte.
„Seit wir hier sind, habe ich das Gefühl, alles immer doppelt zu erleben: Als die, die ich hätte sein können, und die, die ich bin.“ In den letzten Minuten des Films versucht Banafshe mit diesen Worten eine Differenzerfahrung zu beschreiben, die mich als diffuses Gefühl immer wieder im Arbeitsalltag mit jungen geflüchteten Menschen begleitet hat. Ich übergab damals also das Feuer und bekam nichts Passenderes als ein „Schön, dass du da bist“ heraus. Und dachte, dass das, was hier gerade passiert, irgendwie spannend sei.
„Futur Drei“ zieht seine Kraft aus all den schillernden, geistreichen und intensiven Begegnungen innerhalb Communities von PoC in Deutschland sowie aus der diskriminierenden Abwesenheit und/oder Miss- und Unterrepräsentation ebenjener in fast allen deutschen Filmen, denen ich bisher begegnet bin. Fast täglich werde ich von weißen deutschen Menschen gefragt, woher ich komme, wie lange ich schon hier bin. Ein Grund dafür ist meiner Meinung nach die Haltung vieler deutscher Bildproduktionen und der Zugriff auf unsere Geschichten. Denn: Unsere Geschichten und die unserer Eltern werden als Migration erzählt. Doch zwischen Formulierungen wie Integrationskomödie und Familiendrama werden sie immer wieder reduziert: zu Pointen multikultureller Versöhnung oder romantischen Darstellungen einer bedrohten Heimat. Als selbstbestimmtes, aktivistisches Popcorn-Kino will „Futur Drei“ hierfür eine entschlossene wie vielstimmige Opposition bieten und ein Angebot für faires und ehrliches deutsches Kino schaffen.

Welche Vorbilder hast Du?

Faraz: Meine Eltern Mashid und Nasser. Seit ich Filme drehe, sind sie der Herzschlag meiner künstlerischen Praxis. Als ich 18 wurde, drückte mein Vater mir mehr als 48 Stunden digitalisierte VHS-Tapes in die Hand, auf denen er seit Mitte der 80er Jahre versucht hat, eine Vergangenheit in Deutschland zu formatieren. Wochenlang saugte ich die Aufnahmen in mich hinein, fühlte und zerlegte sie, begegnete vergessenen Erinnerungen und observierte mit Hingabe die Beziehung zwischen der Linse meines Vaters und der Umgebung, die er porträtiert. Im Jahr 2012 habe ich aber auch meinen ersten Film gedreht. In der Arbeit werden fiktive Beobachtungen meines Alltags, potenzielle Bilder (m)einer Familie und die dokumentarischen VHS-Materialien zu einem pubertierenden, losen Körper verwoben.
Drei Jahre und einige Musikvideos später arbeitete ich 2015 wieder mit meinen Eltern und wieder mit dem VHS-Material. Ich besuchte die neue Wohnung von Mama und Papa, nahm teil an ihrem Alltag und nahm mir vor, zwischen Supermarktkasse und Wohnzimmercouch unsere Familiengeschichte neu zu perspektivieren. Während des Drehs tauschten wir unser Wissen aus, das natürlich ein ganz anderes war, und entwickelten gemeinsam eine Idee unseres Dazwischens in Deutschland. Es ging schon zu dem Zeitpunkt um so etwas wie Flucht, aber auch Ankunft, um das Gefühl von Heimat und das Bilden einer Gemeinschaft. Am Ende stand ein zusammengerücktes Familienbild und der Beginn der Arbeit an „Futur Drei“.

Wie habt Ihr die Darsteller*innen gefunden? Habt Ihr lange gecastet?

Faraz: Als erstes stand die Besetzung meiner eigenen Eltern als Eltern des Protagonisten fest. Das war insofern wichtig für mich, weil „Futur Drei“ in einem jahrelang fortlaufenden Verfahren intergenerationalen Lernens entstand. Gleichzeitig haben Raquel und ich bereits im Treatment-Stadium begonnen, uns mit vielen Schauspieler*innen und Laien zu treffen, die den relativ spezifischen Anforderungen der Rollenprofile entsprachen. Weil wir uns mit diesem Projekt nach einer Auseinandersetzung mit komplexer, intersektionaler Verschränkung von Fragen der kulturellen und sexuellen Zugehörigkeit sehnten, war es mir besonders wichtig herauszufinden, inwieweit ich mit dem Ensemble eine sichere und persönliche Atmosphäre herstellen kann, in der wir diskutieren und arbeiten können. Ich wollte, dass das aktivistische Anliegen des Films zwischen uns allen klar formuliert und geteilt wird.

Raquel: Der Castingprozess zog sich insgesamt über drei Jahre. Viele der ersten Begegnungen mit Darsteller*innen waren Recherche- und Castingtreffen zugleich. Neben der Suche über Agenturen und Casting-Plattformen gingen wir in Kontexte, die thematisch mit unserem Film zusammenhingen, um dort nach Laiendarsteller*innen zu suchen. So arbeiteten wir viel mit Einrichtungen oder Vereinen zusammen, die sich als queer und/oder (post-)migrantisch verorten. Letztendlich entschieden wir uns jedoch gegen eine Laienbesetzung im Hauptcast, da das Arbeiten mit Laien auch einen anderen Arbeitsprozess erfordert hätte. Banafshe Hourmazdi war eine der ersten Darsteller*innen, die wir casteten und auf die wir durch das Ballhaus Naunynstraße in Berlin aufmerksam wurden. Kurze Zeit später stießen wir auf Benjamin Radjaipour, der damals noch an der Universität der Künste in Berlin Schauspiel studierte. Das Casting für die Figur Amon dauerte am längsten, über drei Jahre lang suchten wir nach der Idealbesetzung. Erst 2018 begegneten wir Eidin Jalali, der an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule Schauspiel studierte. Der Castingprozess gestaltete sich vor allem deshalb so schwierig und langwierig, weil viele Schauspieler*innen of Color entweder gar nicht von Agenturen vertreten werden oder ihre Showreels vor allem Rollen zeigen, die stark stereotypisiert sind.

Viele von Euch kennen sich vom Studium an der Universität Hildesheim, „Futur Drei“ entstand aber explizit außerhalb eines institutionellen Kontextes als freie Produktion Eurer eigenen Firma Jünglinge – in Koproduktion mit dem Berliner Produzenten Jost Hering und Iconoclast Germany. War diese relative Freiheit für das Projekt wichtig?

Faraz: Viele von uns kennen sich tatsächlich vom Studium an der Universität Hildesheim. Da werden zwar auch medienpraktische Kurse angeboten, aber richtig Filme drehen geht nicht. Also mussten wir irgendwo zwischen bescheidener Kleinstadtstruktur, D.I.Y. Produzent*innen-Knowledge und unseren dringlichen Anliegen einen Denk- und Arbeitsraum herstellen, in dem ein Kinofilm realisiert werden konnte. Jost Hering hat uns dabei auf wirklich integere und umfassende Weise mit seiner langjährigen Erfahrung mit Low-Budget Filmen unterstützt. Ein ebenfalls maßgeblicher Support kam von der prestigeträchtigen Werbefilmproduktionsfirma Iconoclast Germany, ohne die wir uns die vielen, vielen Berliner Arbeitsgespräche, Castings, Schnitt-Monate und auch das Technik-Equipment für den Dreh nicht hätten leisten können.

Paulina: Dass „Futur Drei“ ohne Hochschulkontext und unabhängig von Sendern finanziert und produziert wurde, war eigentlich eine Art Notwendigkeit für die kollaborative Zusammenarbeit, die wir uns vorgestellt haben. Denn es ging uns nicht nur darum, on screen Repräsentationsflächen zu schaffen, welche die Vielfalt an Lebensrealitäten in der Gesellschaft sichtbar machen und dadurch neue Identifikationsmöglichkeiten zu produzieren. Sondern wir haben auch versucht, in der Teamzusammenstellung und der Projektgestaltung Machtstrukturen zu hinterfragen und den Erfahrungen und Perspektiven derjenigen Menschen Raum zu geben, von denen wir erzählen. Durch diesen Anspruch in der Machart war „Futur Drei“ auf öffentliche Gelder der Länder Niedersachsen und Hamburg/Schleswig-Holstein sowie die Beteiligung kleinerer Stiftungen angewiesen, um realisiert werden zu können. Auf inhaltlicher und kreativer Ebene war es von Anfang an sehr wichtig für uns, als junges, politisches Team maximale Freiheit zu haben. Da Perspektiven von Menschen aus Einwanderungsfamilien im deutschen Film und Fernsehen oft nur unterkomplexe Beachtung finden, war uns die Freiheit wichtig, als Kernpublikum für den Film immer eine queere, zweite Generation im Kopf zu haben, für die und aus der dieser Film entstanden ist.

Der Film ist formsprachlich einerseits sehr realistisch – Ihr habt komplett on location und mit zahlreichen Laien gedreht –, anderseits arbeitet Ihr mit stilistischen Überhöhungen, traumhaften Szenen und einer starken Farbdramaturgie, die an Video-Clips erinnern. Wie würdet Ihr das visuelle Konzept des Films beschreiben und wie habt Ihr es zusammen entwickelt?

Faraz: Wenn wir mit unserem Kameramann Simon über die Visualisierung nachdachten, sprachen wir immer wieder von „Futur Drei“ als Momentaufnahme und Meditation des gemeinschaftlichen Gefühls einer jungen Generation über geografische Grenzen hinweg. Was diese Generation verbindet, ist Sensibilität, Ästhetik, Popkultur, Schnelligkeit. Wir haben uns fest vorgenommen, eine Vielzahl visuell-erzählerischer Methoden und Logiken zuzulassen und im Gegensatz zu streng formulierten Visualisierungskonzepten, hier Szene für Szene neue Tonalitäten zu setzen und Zugriffe auf Bilder zu ermöglichen. Dadurch wollten wir der (pop)kulturellen Offenheit unserer Figuren und der vielen Potenziale und Facetten ihrer Identitäten einen Raum bieten, der nicht eindeutig auf lineare Entwicklung oder Kausalität basiert.

Friederike: Das Rohmaterial bewegte sich zwischen stilistischer Überhöhung, spürbarer Inszenierung und Improvisation. Nicht immer war ich mir sicher, ob das unterschiedliche Material am Ende einen Erzählfluss ergeben würde. Letztlich denke ich, dass genau dieser Kontrast zwischen den unterschiedlichen Ausdrucksformen im Material die Intensität des Filmes verstärkt und die thematische Dringlichkeit, die dahintersteckt: Die Figuren aus ihren Klischees zu befreien und ihnen eine differenzierte und ehrliche Stimme zu geben.

An einigen Stellen des Films sind alte Videoaufnahmen zu sehen, die Dich selbst, Faraz, als kleinen Jungen zeigen. Stammen diese Aufnahmen von Deinem Vater? Und warum war es wichtig, dieses Material in den Film zu integrieren?

Faraz: Ja, die Aufnahmen sind Teil jenes VHS-Materials, das mir mein Vater 2012 gegeben hat. Durch die Möglichkeit, mich in seinen Blick hineinzubewegen, wurden die Bilder einer Ankunft und meines Aufwachsens zu einer der stärksten Referenzpunkte meiner eigenen Kindheitserinnerungen.

Friederike: Das erste Bild des Filmes zeigt Faraz als etwa vierjährigen Jungen im Sailor-Moon-Kostüm. Dieses Bild ist für mich das konkrete verbindende Element zwischen dem Film und dem autobiographischen Hintergrund. Als Originalaufnahme fungiert es als Beweis dafür, dass die Geschichte einen wahren Ursprung hat. Darüber hinaus kündigt das Bild an, dass der Film Konflikte des realen Lebens behandelt und hebt damit die Fiktion ein Stück mehr auf eine Wirklichkeitsebene. Ich war versucht, noch viel mehr Material davon in den Film hinein zu montieren, aber wir beschlossen, es auf zwei Stellen zu reduzieren. Später im Film, unmittelbar nach dem Wendepunkt in der Geschichte, sehen wir eine Montagesequenz, die zum einen aus eher stark choreographierten, Passepartout-artigen Szenen im Flüchtlingsheim, und zum anderen aus realen VHS-Aufnahmen besteht. Die Aufnahmen zeigen wieder Faraz als kleinen Jungen, diesmal mit seiner Familie. Faraz’ Eltern spielen im Film die Eltern von Parvis. Hier bewegt sich der Film aus der einen Fiktion, aus den Einzelschicksalen der Protagonisten hinaus, über andere uns unbekannte Bewohner des Flüchtlingsheimes hinweg bis hin zum Archivmaterial. So verknüpfen sich die unterschiedlichen formalen Ebenen von Film, surrealer Inszenierung und realer Geschichte. Aus dem konkreten Einzelschicksal heraus wird auf andere Schicksale hingewiesen. Die Archivaufnahmen sind der Anker, der das alles wieder in die Realität zurückholt.

Auch die Musik im Film ist sehr vielfältig. Inwiefern beschreibt die Musikauswahl auch den Charakter des Films?

Jakob: Tatsächlich haben wir irgendwann mal darüber gesprochen, ob die Vielfalt der Musik den Film evtl. eher auseinanderbrechen lässt. Immerhin haben wir zu dritt – Säye Skye, Jan Günther und ich – an verschiedenen Filmmusiken gearbeitet und mitunter auch in sehr unterschiedlichen musikalischen Genres. Aber wenn man ein „rundes Ding“ erreichen will, fühlt sich das unter Umständen falsch an. Im Hinblick auf die Themen des Films und seine Machart insgesamt ist die große musikalische Bandbreite allerdings nur konsequent: Es geht ja genau darum, die Hybridität unserer Gesellschaft widerzuspiegeln und transkulturell zu arbeiten.

Faraz: Motivisch stecken in dem Film sehr unterschiedliche Zugriffe auf Musik. Uns hat die Idee von Heimsuchung und den Geistern migrantischer Traumata interessiert: diffuse, unverortbare Stimmen, Drones, ein Dazwischen der bewegten Generationen, Nebel und Wind wehen Verlorenes herbei. Parvis und ich sind hingegen 100 % Pop-Musik. Das Sommerfest und auch die Musiken der Geschwister formulieren einen musikalischen Dialog verschiedenster Kulturen zwischen Erinnerungen und Gegenwart.

Und habt Ihr alle Songs bekommen, die ihr haben wolltet?

Jakob: Wir haben durchaus auch mit Songs gearbeitet, bei denen wir uns von vornherein schon denken konnten, dass wir sie uns nicht leisten können würden, Coldplay zum Beispiel. Aber genau an diesen Punkten wird es natürlich interessant: dem nachzugehen, was die Themen der jeweiligen Szene ausmacht, und nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Auf diese Weise haben wir über 20 tolle Künstler*innen und Gruppen gefunden, die uns unglaublich großzügig mit ihrer Musik unterstützt haben. Schwierig zu klären waren einige iranische Titel. Was daran liegen könnte, dass im Zuge der iranischen Diaspora die Zuständigkeiten für die Rechteverwaltungen der Werke etwas undurchsichtiger geworden sind. Sicher lag es aber auch einfach daran, dass ich mich ohne Iranisch-Kenntnisse nur sehr viel langsamer voranrecherchieren konnte. Bei dieser Arbeit war Faraz‘ Vater eine große Hilfe.

Der Film hat nicht nur einen sehr eigenen Look hinsichtlich der Bildsprache, sondern auch in Bezug auf die Kostüme. Vor allem für Parvis scheint Kleidung ein Mittel des Selbstausdrucks, ja der Selbstbehauptung zu sein.

Faraz: Für mich war Mode schon früh ein Tool, um mit dem Ausdruck meiner Identität herumzuexperimentieren. Mir und dem gesamten Styling-Team des Films hat es unfassbar viel Freude gemacht, die Geschichten der Triade durch ihre Looks nicht zu beweisen, sondern ganz im Gegenteil sie zu spezifizieren, zu kommentieren, in Frage zu stellen, zu fiktionalisieren oder eben stark zu stilisieren. Wir hatten tolle Kollaborationen mit Labels wie GMBH. Und es war uns total wichtig, das Kostümbild der Unterkunfts-Bewohner*innen (von denen ich viele noch aus meiner eigenen Zeit als Übersetzer in Hildesheim kannte) in Zusammenarbeit mit den Statist*innen zu entwickeln.

Klara: Wir haben versucht, den inneren Konflikt von Parvis durch seinen Stil darzustellen. Er möchte irgendwo dazugehören und gleichzeitig seine Differenz betonen. Natürlich ist er sehr inspiriert von Sachen, die es schon gibt, wie wir alle, aber er schafft es trotzdem, seine eigene Identität durch eine Stil-Mischung zu kreieren. Wir finden bei ihm Referenzen an seine Teenager-Zeit, Filme und Künstler*innen, die er mag, bis hin zu Amons Look. Besonders interessant war die Arbeit an dem Kostümbild der Geschwister, weil wir andere, neue Codes benutzt haben als jene, die man sonst in der Repräsentation von Geflüchteten im deutschen Film immer wieder findet. Fern von Stereotypen haben wir versucht, für jede Figur eine einzigartige Persönlichkeit zu erschaffen.

Dein Film wurde bzgl. der Darstellung einer Ménage-à-trois, aber wohl auch in seiner Verschränkung von jugendlicher Leichtigkeit und drückender Sehnsucht, mit Truffauts „Jules et Jim“ (1962) verglichen. Kannst Du diesem Vergleich folgen? Und was waren Deine filmischen Vorbilder?

Faraz: Um ehrlich zu sein, kannte ich diesen Film von Truffaut gar nicht. Manchmal, wenn ich von „Futur Drei“ erzähle, spreche ich davon als visuelles und narratives Archiv von Migration. Das finde ich insofern passend, als dass dieser Film ein Konglomerat aus ganz verschiedenen Einflüssen ist, die immer wieder umschlagen. Vor haben wir selber sehr viele Musikvideos gedreht, das schwingt also sowieso mit. Ansonsten haben wir mit ziemlich vielen filmischen Positionen als Referenzen gearbeitet: Pop- und Werbeinszenierungen von Rihanna, Solange und Childish Gambino stecken da genauso drin wie Regiearbeiten von Andrea Arnold und Celine Sciamma, ebenso die norwegische Jugendserie „Skam“, manchmal ein bisschen Mumble-Core, aber auch puristische Tableaus, wie ich sie von Ulrich Seidl kenne.

Jünglinge Film
Paulina Lorenz und Faraz Shariat über ihre Produktionsfirma

Als junges, politisches Filmkollektiv haben wir, Paulina und Faraz, uns vor ca. 5 Jahren während unserer Studienzeit zusammengeschlossen. Seitdem ist Jünglinge zu einem größeren, deutschlandweiten Netzwerk von Filmschaffenden gewachsen, die gemeinsam Sehgewohnheiten und Produktionsstrukturen der deutschen Filmlandschaft aufbrechen wollen. In unserer Arbeit setzen wir uns kritisch mit Diskriminierung, Identitätsfestschreibung und Mechanismen des Othering auseinander. Auf der anderen Seite lieben wir aber auch Popkultur und Popcorn-Kino, und schätzen Filme oft am meisten, wenn sie zugänglich sind. In unseren Projekten erzählen wir deshalb queere und migrantische Lebensrealitäten in Pop-Zitaten und einer lebhaften Bildsprache, um Anknüpfungspunkte für ein vielfältiges Publikum zu ermöglichen. Wir glauben daran, dass junger, deutscher Film queere und subversive Geschichten über das Aufwachsen und Zusammenleben in unserer Einwanderungsgesellschaft erzählen muss – und populärer Film kann hier als Mittel dienen, um für eine breite Öffentlichkeit die Vielfalt deutscher Lebensrealitäten und Geschichten sichtbar zu machen.

Biografien

FARAZ SHARIAT (Regie, Buch und Produktion). Geboren 1994 in Köln. Nach ersten Regie- und Schauspielarbeiten am Schauspiel Köln folgten 2013 Video-Installationen für das Staatstheater Hannover. Im selben Jahr begann er sein interdisziplinäres Studium der Szenischen Künste an der Universität Hildesheim, wo er queer-feministische Filmtheorie, Populäre Kultur und Kulturwissenschaft studierte. Schon während des Studiums arbeitet er mit Paulina Lorenz und Raquel Molt als Filmkollektiv „Jünglinge“. Aufgewachsen als in zweiter Generation in Deutschland lebende Person of Color, arbeitet Faraz an einem entschlossenen Gegenentwurf zu einem konventionellen deutschen Kino, in dem post-migrantische Erlebnisse und Geschichten von Einwanderern und ihrer Familien allzu oft ausgeschlossen oder misrepräsentiert werden. Aus der Aufarbeitung seiner Familiengeschichte in autobiografischen Dokumentarfilmarbeiten und der Arbeit als Übersetzer für geflüchtete Menschen, entstand sein erster Langfilm: „Futur Drei“.

  • 2013

    „GemEinsam Judas“ (Kurzfilm), „Fühlgefühl“ (Kurzfilm)

  • 2015

    „Ich bin euer Sohn“ (Dokumentarfilm), „The dichotomous trilogy“ (Kurzfilm)

  • 2017

    „Flight Facilities – Arty Boy“ (Musikvideo)

  • 2019

    „MonoDrama“ (Webserie), „Selfridges – Story Makers“ (Werbefilm)

  • 2020

    „Aïcha“ (Kurzfilm), „Futur Drei“ (Spielfilm)

BENJAMIN RADJAIPOUR (Parvis) wurde im Dezember 1990 in Tübingen geboren und absolvierte sein Schauspielstudium an der Universität der Künste Berlin. Im Anschluss arbeitete er als Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele unter der Intendanz von Matthias Lilienthal u.a. mit Susanne Kennedy, Trajal Harrell, Leonie Böhm, Toshiki Okada, Anta-Helena Recke und Christopher Rüping zusammen. Für seine Arbeit in Rüpings zehnstündigem Antiken-Projekt „Dionysos Stadt“ wurde er 2019 in der Kritiker-Umfrage der Theater Heute zum Nachwuchsschauspieler des Jahres gewählt. Für seine Leistung in „Futur Drei“ erhielt er, gemeinsam mit seinen Mitspieler*innen Banafshe Hourmazdi und Eidin Jalali, den Götz-George-Nachwuchsdarstellerpreis der First-Steps-Awards und wurde für den Deutschen Schauspielpreis nominiert.

BANAFSHE HOURMAZDI (Banafshe) wurde 1990 geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Sie studierte Schauspiel an der ADK Baden-Württemberg und absolvierte den Master Schauspiel an der ZHdK. 2015 gewann sie den Newcomerpreis der Stadt Wien für ihre Produktion „Meine Nase läuft“ am Theater Drachengasse in Wien. Sie gastiert an verschiedenen Theatern und arbeitet in unterschiedlichen Konstellationen und Funktionen in Stadttheatern, in der Freien Szene und bei Film und Fernsehen.

EIDIN JALALI (Amon), geboren 1992 in Teheran, aufgewachsen in Wien. Studium der Immobilienwirtschaft. Ab 2017 Schauspielstudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, währenddessen erste Theaterengagements. 2018 übernimmt er für NBC Universal eine Rolle in der internationalen Serienproduktion „Spides“. In „Futur Drei“ von Faraz Shariat ist er zum ersten Mal in einer Filmhauptrolle zu sehen.

PAULINA LORENZ (Buch & Produktion). Geboren 1994 in Hamburg. Studierte Film, Musik und Visuelle Kultur an der Universität Hildesheim und der Brown University (USA). Während der Arbeit an „Futur Drei“ studierte sie Migrationswissenschaften im Master an der Universität Kopenhagen. Paulina interessiert sich für queer*feministische und postkoloniale Blicke im Film und auf Medienkultur. Während des Kulturwissenschaftsstudiums gründet sie
gemeinsam mit Faraz das Kollektiv Jünglinge, mit dem sie fiktive und dokumentarische Stoffe für Kino, TV und Theater entwickelt, schreibt und produziert. Weiter veröffentlichte sie journalistische Texte für den Mediendienst Integration, arbeitete für das queere Londoner Filmfestival BFI Flare und organisiert sich im aktivistischen Widerstand gegen das europäische Abschiebesystem.

RAQUEL MOLT (Casting). 1994 geboren, wuchs Raquel mit indisch-nepalesisch-deutschen Wurzeln in Berlin-Kreuzberg auf. Sie studierte in Hildesheim mit den Studienschwerpunkten Film, queerfeministische Theorie und Populäre Kultur. Seit 2016 ist sie Teil von Jünglinge und wirkte als Producer und Casting Director bei diversen Musikfilmen mit. 2018 arbeitete sie an ihrem ersten dokumentarischen Kurzfilm „Jamal“, der den Alltag ihres muslimisch-konvertiertem Bruders in seinem letzten Schuljahr dokumentiert. Bei der Produktionsfirma Panthertainment arbeitete sie noch während ihres Studiums als Creative Producer in der Stoffentwicklung und als Casterin bei diversen Werbe- und Spielfilmprojekten mit.

Paulina Lorenz und Faraz Shariat über ihre Produktionsfirma Jünglinge Film

Als junges, politisches Filmkollektiv haben wir, Paulina und Faraz, uns vor ca. 5 Jahren während unserer Studienzeit zusammengeschlossen. Seitdem ist Jünglinge zu einem größeren, deutschlandweiten Netzwerk von Filmschaffenden gewachsen, die gemeinsam Sehgewohnheiten und Produktionsstrukturen der deutschen Filmlandschaft aufbrechen wollen. In unserer Arbeit setzen wir uns kritisch mit Diskriminierung, Identitätsfestschreibung und Mechanismen des Othering auseinander. Auf der anderen Seite lieben wir aber auch Popkultur und Popcorn-Kino, und schätzen Filme oft am meisten, wenn sie zugänglich sind. In unseren Projekten erzählen wir deshalb queere und migrantische Lebensrealitäten in Pop-Zitaten und einer lebhaften Bildsprache, um Anknüpfungspunkte für ein vielfältiges Publikum zu ermöglichen. Wir glauben daran, dass junger, deutscher Film queere und subversive Geschichten über das Aufwachsen und Zusammenleben in unserer Einwanderungsgesellschaft erzählen muss – und populärer Film kann hier als Mittel dienen, um für eine breite Öffentlichkeit die Vielfalt deutscher Lebensrealitäten und Geschichten sichtbar zu machen.

Credits

Cast

Parvis

Benjamin Radjaipour

Banafshe

Banafshe Hourmazdi

Amon

Eidin Jalali

Parvis’ Mutter

Mashid

Parvis’ Vater

Nasser

Mina

Maryam Zaree

Maretta

Abak Safaei-Rad

Jan

Jürgen Vogel

Robert

Knut Berger

Julian

Paul Lux

Stefan

Niels Bormann

Ahmed

Hadi Khanjanpour

Ärztin

Katarina Gaub

Frau Mahrvan

Sevil Mokhtare

Stefanie

Vanessa Loibl

Rasul

Armin Warhedi

Crew

Regie

Faraz Shariat

Drehbuch

Faraz Shariat, Paulina Lorenz

Kamera

Simon Vu

Montage

Friederike Hohmuth

Musik

Jakob Hüffell, Säye Skye, Jan Günther

Sound Design

Janis Grossmann

Ton

Jakob Hüffell

Szenenbild

Katja Deutschmann

Kostüm

Klara Mohammadi

Maske

Farhud Hamidi

Regieassistenz

Antonia Pahlke

Casting

Raquel Molt

Produktionsleitung

Moritz Heuwinkel, Raquel Molt, Leonard Schulz

Produzent*innen

Paulina Lorenz, Faraz Shariat

Co-Produktion

Jost Hering Filme, Berlin; Iconoclast Germany, Berlin; La Mosca Bianca Films, Hamburg

eine Produktion von Jünglinge Film, Jost Hering Filme, Iconoclast Germany und La Mosca Bianca Films, gefördert von der nordmedia und der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

im Verleih von Salzgeber mit freundlicher Unterstützung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und der FFA