Warum werden queere Filme in Deutschland nicht gefördert?

Laut Eigendarstellung der Bundesregierung „stärkt die Filmförderung des Bundes Qualität und Vielfalt des Filmschaffens in Deutschland und trägt dazu bei, dass sich die Filmbranche positiv entwickelt. Die Staatsministerin für Kultur und Medien engagiert sich dabei mit verschiedenen Förderinstrumenten, die deutsche Filme mit künstlerischem Wert im Blick haben.“

Im Jahr 2021 betrug dieses Engagement des Bundes 313,93 Millionen und es sind neben automatischen Elementen 109 Menschen, die in den verschiedenen Jurys die Filmförderung des BKM bestimmen. Turnusgemäß wurden diese Jurys Anfang 2023 für die kommenden Jahre neu besetzt und Claudia Roth konnte dabei auf Vorschläge verschiedenster Verbände zurückgreifen. So hatte auch die Queer Media Society 12 Menschen vorgeschlagen, die sich nicht durch ihre sexuelle Orientierung, sondern ihre fachliche Qualifikation und Branchenkenntnis auszeichnen. Fünf Menschen aus dieser Vorschlagsliste fanden die Gnade des zuständigen Referats K35 und wurden von Claudia Roth berufen – allerdings vier nur als Stellvertreter:innen. Stellvertreter:innen sein ist ziemlich doof, denn diese haben in der Regel nichts zu tun und nichts zu entscheiden.

Ich möchte diese Entscheidung für einen Realitätscheck der deutschen Filmförderung und insbesondere der BKM-Filmförderung nutzen und Fragen stellen.

Warum mussten in den vergangenen Jahren die paar deutschen Filme mit queeren Themen wie „Futur Drei“, „Genderation“, „Kokon“, „Neubau“ oder ganz aktuell „Drifter“ und „Knochen und Namen“ prekär, d.h. ohne Förderung hergestellt werden? Was passiert da in den Jury-Sitzungen und warum sind es immer wieder die queeren Stoffe, die aus welchen Gründen auch immer abgelehnt werden? Darf ich mich an ein Telefonat mit einem Jury-Mitglied erinnern, das mir nach einer immerhin positiven Entscheidung zu einem Film mit einem jüdischen Thema sagte, „man hätte das jetzt sehr lange diskutieren müssen und sich gefragt, ob das denn noch sein müsse und ob das Thema nicht auch mal vorbei wäre“. Muss ich befürchten, dass hier „queer“ ähnlich falsch verstanden wird und die entscheidende Mehrheit davon ausgeht, dass man mal einen Film mit einem lesbischen Liebespaar produziert und dass dann das Thema erledigt sei?

Hat die queere Szene es versäumt, bei der völlig verständlichen Forderung von Pro Quote Film nach 50% für die Frauen auch mal zaghaft vielleicht ein Prozent für queere Inhalte zu fordern? Und wenn Pro Quote Film auf ihrer Webseite vorrechnet, dass eine Produzentin 17€ Fördermittel benötigt, um eine Kinobesucherin zu generieren, und der männliche Kollege 42€ öffentliches Geld, dann darf ich als schwuler Produzent ergänzen, dass es bei mir in der Regel null Euro waren.

Die deutsche Filmförderlandschaft kümmert sich neuerdings um „Diversity“ und das am liebsten mittels Checklisten. Die Anzahl an queeren Nebenrollen wächst. Das ist gut so, aber könnte nicht auch ab und zu mal ein Film aus einer tatsächlich queeren Perspektive erzählt werden?

Darf ich auch die Frage stellen, warum der bahnbrechende Film „Paragraph 175“ aus dem Jahre 2000 mit amerikanischem Geld hergestellt werden musste, der Klassiker „Bent“ aus dem Vereinigten Königreich kam und „Große Freiheit“ ein österreichischer Film war und auch 2022 der wichtige Film „Nelly & Nadine“ aus Schweden, Belgien und Norwegen finanziert werden musste? Der „deutsche Film“ hat es also nicht einmal geschafft, einen Film zum Thema „queere Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus“ zu produzieren, und dass ich hier gerade mal den Färberböck-Film „Aimée & Jaguar“ von 1998 unterschlage, tut mir wahnsinnig leid.

In Österreich wurden 2022 Filme wie „Eismayer“ und „Breaking the Ice“ produziert und beide Filme räumten gerade beim Max Ophüls Preis fünf Preise ab. Davor waren es „Große Freiheit“, „Hochwald“, „Moneyboys“, „Nevrland“, „Der Boden unter den Füßen“ oder „Siebzehn“, und von keinem dieser Filme wäre mir bekannt, dass sie ähnlich prekär wie „Futur Drei“, „Kokon“, „Drifter“ oder „Knochen und Namen“ produziert werden mussten und komplett durch die Förderraster fielen. Ein Blick in die Schweiz mit „Beyto“, „Loving Highsmith“, „Madame“ oder „Wet Sand“ bietet ähnliche Vielfalt, und selbst Polen hat Deutschland 2022 mit „Elefant“, „All Our Fears“ und „Bread and Salt“ locker überholt.

Frankreich mit kontinuierlichem Output von Regisseur:innen wie Céline Sciamma, François Ozon, Sébastien Lifshitz, Christophe Honoré und vielen anderen lässt einen komplett erblassen und lässt mich meine Frage wiederholen: Warum werden queere Filme in Deutschland nicht gefördert?

Kurzer Themenwechsel zur „schwulen Mafia“: Treffe ich einen bekannten und altgedienten deutschen Regisseur, der Jahr für Jahr Millionen von FFA, BKM, Medienboard und allen anderen erhält, bei meiner Steuerberaterin und erzähle von unseren Filmen auf der Berlinale. Er antwortet: „Ja Ihr, mit Eurer schwulen Mafia.“ Und mir bleibt erstmal der Mund offen stehen. „Schwule Mafia“ für was? Für Filme, die kontinuierlich in Deutschland nicht gefördert wurden und trotzdem international verkauft werden? Für Filme, die unser Land auf hunderten von internationalen Festivals vertreten und einfach mal auf ihre Art spannender, ehrlicher und gefragter sind, als all dies Zeug, was hier sonst so zusammengeheftet wird? Glaubt er wirklich, dass diese Qualität bei der Berlinale nicht geschätzt und erkannt wird und bei der Programmauswahl eine schwule Mafia regiert? Das hat schon fast die Qualität von Kommentaren im Internet, die ja auch eine queere Weltherrschaft wähnen und eine Überdominanz queerer Charaktere im deutschen Film behaupten. Welcher schwule Regisseur, welche lesbische Regisseurin, welcher queere Mensch durfte sich denn – außer Rosa von Praunheim – in den vergangenen Jahren in Deutschland entwickeln und halbwegs kontinuierlich queere Filme machen?

Und ich springe noch einmal. Kann es vielleicht auch sein, dass der ziemlich bescheidene Zustand des deutschen Films auch mit dem ziemlich bescheidenen Zustand der Entscheidungskompetenz der Jurys zusammenhängt, die fast grundsätzlich jedes Wagnis, jedes Anderssein, alles Außergewöhnliche und auch Queere eben nicht fördern?

In meiner grundsätzlichen Naivität hatte ich gehofft, dass ein paar queere Menschen, die zwangsläufig lernen mussten, auch über den eigenen Tellerrand zu schauen, eine Chance erhalten würden, die BKM-Jurys mit neuen Perspektiven zu bereichern.

Die Entscheidung von Claudia Roth, die Vorschläge der Queer Media Society in die zweite Reihe – in der eben nichts entschieden wird – zu verbannen, ist eine weitere verpasste Chance für den deutschen Film.

Darüber hinaus möchte ich noch persönliche Anmerkungen zu meinem Telefonat mit Ulrike Schauz, Referatsleiterin beim BKM für die Filmförderung, machen: Das Wort „queer“ als „quer“ auszusprechen, ist nicht komisch und einfach nur unwürdig. Mich persönlich mit „das ist doch Ihr Thema“ auf meine sexuelle Orientierung zu reduzieren, ist beleidigend. Über drei Jahrzehnte lang habe ich mich mit meiner Programmarbeit bei Salzgeber kontinuierlich für den deutschen Filmnachwuchs, den deutschen Dokumentarfilm, für jüdische Themen und für Filme zur deutschen Geschichte und Gesellschaft, für Filme über Architektur, für Frauenrechte und halt auch für queere Filme durchaus sehr erfolgreich eingesetzt. Nur weil ich schwul bin, ist „meine Expertise“ nicht auf dieses Thema beschränkt. Vielleicht könnte Claudia Roth ihre Rede („LGBTIQ-people are human.“) beim Teddy Award auf dem Flur ihrer Behörde wiederholen und ihr Augenmerk auf die Förderrealität in Deutschland lenken.

Björn Koll, am 6. März 2023

Björn Koll ist Vorstand der Queeren Kulturstiftung und war bis Ende 2022 für über 30 Jahre geschäftsführender Gesellschafter von Salzgeber und damit auch im höchsten Maße von Jury-Entscheidungen in der deutschen Filmförderung abhängig. AG Kino und Queer Media Society hatten ihn für die Jury Verleihförderung vorgeschlagen und das BKM wollte ihn als stellvertretendes Mitglied einsetzen, was er aber – auch um gegenüber Claudia Roth ein Zeichen zu setzen – abgelehnt hat.

Hier gibt es den Brief als PDF.