Phantomparadies

Hans Georg Berger : Hervé Guibert

Mit Texten von Boris von Brauchitsch
Gestaltung: Detlev Pusch

Hardcover, 240 × 320 mm, 208 Seiten
145 Abbildungen

Veröffentlichung: Oktober 2019

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Phantomparadies

Im Jahr 1978 traf Hans Georg Berger auf den gerade 22 Jahre alten französischen Schriftsteller und Fotografen Hervé Guibert. Berger, vier Jahre älter und ein Multitalent als Organisator, Autor und Fotograf, war damals bereits Direktor des Internationalen Münchner Theaterfestivals. Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, ein dreizehn Jahre währendes, einzigartiges Projekt gegenseitigen Fotografierens. Bergers Anteil an diesem Projekt liegt jetzt in einem opulenten, fantastisch gestalteten Fotoband vor, begleitet von Texten des Berliner Fotografen und Kunsthistorikers Boris von Brauchitsch. Die Schwarzweiß-Aufnahmen konservieren das Begehren, zeigen ihr Objekt aus nächster Nähe und entrückt in unerreichbare Ferne. Der Betrachter spürt die Spannung zwischen Fotograf und Modell, er spürt, wie Guibert und mit ihm auch sein Freund Thierry Jouno und andere als Subjekte präsent sind, die das Fotografiertwerden geradezu herausfordern – gewollt ungewollt inszeniert.

Hans Georg Berger wollte diesen spannungsreichen und bildtheoretisch interessanten Dialog zweier großer Künstler eigentlich 1988 beenden – nachdem Guibert an Aids erkrankt war, wollte er nicht zum Dokumentaristen des körperlichen Verfalls werden. Dennoch enthält der Band vereinzelt auch Aufnahmen aus Guiberts Jahren mit Aids, die auch von einer gewissen Entfremdung zwischen den Freunden geprägt waren. Der Unterschied im Umgang mit dem Tod verleiht diesem Bildband eine unausgesprochene, zusätzliche Dimension.

Hintergrund

Die Freundschaft zwischen Hans Georg Berger und Hervé Guibert währte dreizehn Jahre, von 1978 bis zu Guiberts Tod 1991. Berger war Intendant des Münchener Theaterfestivals, als der 22-jährige französische Schriftsteller als Korrespondent von Le Monde erstmals in seinem Büro stand. Von Beginn an war die Beziehung eine spannungsvolle und intensive, und bereits im Jahr darauf war Guibert Gast Bergers in dessen Refugium auf Elba, dem Kloster Santa Caterina, das als Bezugspunkt und Inspirationsquelle für Guibert so wichtig werden sollte und das er sich auf seine Weise aneignete: Hierhin lud er Freunde ein, hier schrieb er wesentliche Teile seiner Bücher. Auf diese Weise entstand ein vielschichtiges verbales, vor allem aber nonverbales kommunikatives Geflecht.

Hans Georg Berger, so schrieb Guibert später, „ist der Dombaumeister dieses wundersamen Ortes, an dem ich mich so wohl fühle, wo alles Schönheit ist, wo die Ankunft glücklicher ist als die Erleichterung des Fortgehens, und wo ich die meisten meiner Bücher geschrieben habe, er ist sein Erfinder und er ist sein Meister, was bisweilen einige Probleme aufwirft, Reibungen von Autorität und Auflehnung gegen diese Autorität. Doch zugleich ist er der Schöpfer dieses wundersamen Ortes, und großzügig hat er mich ihn mir aneignen lassen.“

Doch auch jenseits von Elba, ob auf Reisen nach Arles und Budapest, Sevilla und Ägypten oder in Bergers Münchener Domizil, ob in Paris oder in der Villa Medici, Hans Georg Berger und Hervé Guibert pflegten ihren Dialog, der stets emotional, intellektuell und visuell zugleich war, dabei tauschten sie auch ihre Kameras, um die Urheberschaft der Bilder bewusst zu verunklären. Zeugnis dieses Austauschs sind die zahlreichen Porträts, die über die Jahre entstanden und die auf intime Weise das „community involvement“ vorwegnehmen, das Berger in seinen späteren Serien als Methode etablierte: Das Bild als Produkt einer intensiven Verständigung, als Resultat eines gegenseitigen Verstehens und voneinander Lernens.

Der fotografische Anteil Hans Georg Bergers an diesem Projekt liegt jetzt in einem opulenten, fantastisch gestalteten Fotoband vor: Die Auswahl der Bilder und ihre Anordnung hat der Berliner Fotograf und Kunsthistoriker Boris von Brauchitsch besorgt, mit drei in die Präsentation eingestreuten Texten ergänzt er die Welt der Bilder um seine persönlichen Annäherungen an dieses ungewöhnliche Projekt, vor allem aber an Hervé Guibert.

Die in dem Band präsentierten Schwarzweiß-Aufnahmen konservieren den Augenblick des Begehrens, zeigen ihr Objekt aus nächster Nähe und entrückt in unerreichbare Ferne. Der Betrachter spürt die Spannung zwischen Fotograf und Modell, er spürt, wie Guibert und mit ihm auch sein Freund Thierry Jouno und andere als Subjekte präsent sind, die das Fotografiertwerden geradezu herausfordern – gewollt ungewollt inszeniert. Die knapp 150 Fotos werden in vier Gruppen präsentiert. Der Band wird eröffnet mit einer „Bestandsaufnahme“ im Jahr 1980, es folgen zwei große Spannungsbögen von 1979 bis 1982 und von 1981 bis 1991, und schließlich der Weg zurück zu den Anfängen des Jahres 1979.

In Deutschland bekannt wurde Guibert vor allem durch seine Romane über sein Leben mit Aids, das der enge Freund Michel Foucaults in beinahe obszöner Offenheit zelebrierte; sein Sterben 1991 filmte er mit einer fest installierten Videokamera. Doch von Anfang an bedienten seine Selbstporträts nicht seine Eitelkeit, sie dokumentierten viel eher die Vergänglichkeit allen Seins. Hans Georg Berger dagegen wollte seinen spannungsreichen und bildtheoretisch interessanten Dialog mit Guibert 1988 beenden – weil er gerade nicht zum Dokumentaristen des körperlichen Verfalls werden wollte. Dennoch enthält der Band vereinzelt auch Aufnahmen aus Guiberts Jahren mit Aids, die auch von einer gewissen Entfremdung zwischen den Freunden geprägt waren. Der Unterschied im Umgang mit dem Tod verleiht diesem Bildband eine unausgesprochene, zusätzliche Dimension.

Biografien

HANS GEORG BERGER (geb. 1951) ist Theater­macher, Fotograf und Schriftsteller. Er gründete 1977 das Münchener Theater­festival und 1986, mit Hans Werner Henze, die Münchener Biennale. Seit 1988 beschäftigt er sich in fotografischen Langzeit-Projekten mit verschiedenen Aspekten der Weltreligionen. Von 2009 bis 2011 lehrte er in Paris als Professeur invité Ästhetik der Fotografie an der École Française d’Extrême-Orient sowie an der École des Hautes Études en Sciences Sociales.

HERVÉ GUIBERT (1955–1991) war Fotograf, Schriftsteller und Filmemacher sowie von 1977 bis 1985 der erste Fotografie-Kritiker von Le Monde. Sein Drehbuch zu Patrice Chéreaus Film „L’Homme Blessé“ wurde 1984 mit dem französischen Filmpreis César ausgezeichnet. In Deutschland wurde der mit dem Philosophen Michel Foucault befreundete Künstler vor allem durch seine Erzählung „Blinde“ und den Roman „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ bekannt. Er starb 1991 an Aids. Die letzten Tage seines Lebens filmte er mit einer fest installierten Videokamera – der „La Pudeur ou L’impudeur“ getitelte Film erregte damals die Gemüter. Guiberts literarisches Werk erschien bei Gallimard und Les Editions de Minuit, das Pariser Fotografie-Museum „Maison Européenne de la Photo“ zeigte 2010 eine Retrospektive seines fotografischen Werks.

BORIS VON BRAUCHITSCH (geb. 1963) ist Fotograf und Kunsthistoriker. Er promovierte mit einer Arbeit über Herbert List, arbeitet als Kurator und war in leitenden Funktionen an verschiedenen Galerien, Museen und anderen Institutionen tätig. Außerdem ist er Autor zahlreicher Ausstellungskataloge, Monografien zur Kunst und Kunstgeschichte sowie Künstlerbiografien (u.a. zu Caravaggio, Leonardo da Vinci, Lesser Ury, Gabriele Münter und Adolphe de Meyer).