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Unser Paradies

ein Film von Gaël Morel

Frankreich 2011, 97 Minuten, französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

FSK 18

Kinostart: 12. April 2012

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Unser Paradies

Vassili geht auf den Strich. Von seiner jugendlichen Schönheit ist wenig übrig geblieben und seine Freier lassen ihn das spüren. Gegen die Entwürdigung wehrt er sich mit Gewalt. Dann, eines Nachts im Bois de Boulogne, entdeckt Vassili einen blutenden und misshandelten Jungen, der aus dem Nichts zu kommen scheint. Er nennt ihn Angelo, den Engel.

Es ist von Anfang an eine leidenschaftliche Amour fou, die beide erfasst, ohne Zweifel und Misstrauen, ohne Kompromisse. Gemeinsam gehen sie auf den Strich, ermorden und berauben ihre Freier, fliehen schließlich aus Paris, um ihr Paradies zu suchen, wo sie mit allem aufhören und einen Neuanfang wagen können. Doch auch Vassilis Jugendfreundin Anna und ihr kleiner Sohn können die Katastrophe nicht abwenden, auf die Vassili und Angelo zusteuern…

Im Geist des New Queer Cinema und seiner schwulen Antihelden hat Gaël Morel seinem Freund und Lieblingsschauspieler Stéphane Rideau („Wilde Herzen“, „Sommer wie Winter…“) eine faszinierende Hauptrolle auf den Leib geschrieben, die dieser mit kompromissloser Offenheit und Konsequenz ausfüllt. Dimitri Durdaine, sein jugendlicher Filmpartner, ist in seiner ersten Filmrolle zu sehen und wird in Frankreich bereits als Sensation betrachtet. Vassili und Angelo sind ein Paar wie Richard und Nathan aus „Swoon“ (Tom Kalin, 1992) oder Luke und Jon aus „The Living End“ (Gregg Araki, 1992) – schwule Liebende, die nichts zu verlieren haben und für die bürgerliche Sicherheiten, die ihnen ohnehin verwehrt werden, keine Attraktivität haben. Was Anfang der 1990er eine Reaktion auf übersteigert positive schwule Selbstbilder war, ist bei Morel ein Gegenreflex auf schwule Mainstream-Komödien und -Romanzen, die vor allem bürgerliche Sehsüchte befriedigen.

Trailer

Director's Statement
Gaël Morel über...

VORBILDER:

Mir sind Brett Easton Ellis und allgemein die jüngere US-amerikanische Literatur sehr nahe. Bei Dennis Cooper funktionieren die Geschichten auch ohne dass seine Helden mit einer Vergangenheit ausgestattet sind. Sie sind Helden, obwohl sie Geheimnisse haben, nicht sympathisch sind – sondern weil sie einen Weg verfolgen. Auch Raskolnikovs Motive für seine Verbrechen bleiben ja im Dunklen. Bei Figuren ein nicht ganz vollständiges Bild zu zeichnen, stimuliert die Fiktion: der Leser oder Zuschauer kann die dunklen Bereiche auffüllen, sich selbst dazu in Beziehung setzen, auch bei kriminellen Figuren. Das hat mit grundloser Grausamkeit nichts zu tun.

DIE GEFAHR, EIN NEGATIVES BILD DER HOMOSEXUALITÄT ZU ZEICHNEN:

Für mich gehört Homosexualität zur sexuellen Sphäre, nicht zur sozialen. In Filmen, im Fernsehen ist das ein Nebenaspekt von Figuren, die arbeiten, abends nach Hause gehen usw. Die sexuelle Realität ist – auch in diesen Fällen – etwas anderes: Clubs, Bars, Cruising-Orte… Mein Film sollte nicht der normativen Darstellung unserer Gesellschaft entsprechen, er hat ein sexuelles Thema. Und ich will, dass sich schwule Zuschauer mit Kriminellen identifizieren. Würde ich eine Frau auf die bürgerliche, häusliche Sphäre reduzieren wollen, würde sich die Schauspielerin wahrscheinlich aus gutem Grund weigern. Aber ich zeige sexuelle Lust niemals als etwas Negatives – im Gegenteil, die Szene mit dem Dreier in Vassilis Wohnung ist wohl die glücklichste des Films.

DAS THEMA DES ALTERS:

Das hat mich schon immer interessiert. Die Figur von Cathérine Deneuve in „Après Lui“ verliert ja auch nicht nur ihren Sohn, sondern auch ihre eigene Jugend, weshalb sie sich plötzlich mit Jugendlichen anzufreunden versucht. In „Unser Paradies“ kommt das Phänomen, dass man in Schwulenkreisen mit über 40 schon als alt gilt, dazu. Da man in der Regel nicht in Familiensituationen lebt, die einen de facto „altern“ lassen, definieren viele ihren Lebensstil über Sexualität, und deshalb wird Jugend auch so fetischisiert. Und fetischisiert heißt ja nicht respektiert, was bei Vassili eine Quelle seiner Aggression gegenüber den Freiern ist. Ein Schlüsselsatz diesbezüglich ist der, den der Arzt im Film sagt: „Eine alte Schwuchtel wie ich muss sich andere Freuden suchen.“ Das müssen Heteros natürlich auch, aber bei den Schwulen ist das viel dramatischer (was oft auch von unfreiwilliger Komik sein kann).

STEPHANE RIDEAU:

Stéphane hat mittlerweile viel Erfahrung, aber er ist gewiss ein untypischer Schauspieler. Bei uns ist die Arbeitsgrundlage unsere Freundschaft und das Vertrauen, das wir ineinander setzen können. Stéphane macht alles, was ich als Regisseur von ihm will. Aber er will auch alles, was ich ihm geben kann. Er trägt seine Figur mit sich, er hat sie selbst erschaffen, insofern ist er ihr perfekter Darsteller.

DIMITRI DURDAINE:

Ich konnte mir nicht vorstellen, Angelo von einem Schauspieler spielen zu lassen. Notwendigerweise hätte dieser eine Biografie zu seiner Figur erfunden, Absichten, Motivationen. In den Castings konnte man sehen, wie sich alle einen Reim auf die Figur gemacht hatten. Das wollte ich nicht. Niemand sollte sich seiner Jugend wegen für etwas „Größeres“ aufopfern, auch nicht für ein bisschen Kinoruhm. Es ging um Zärtlichkeit und Zutrauen – und das existiert auch in der Beziehung zu einem Mörder. Angelo musste passiv sein, Dialogsätze sagen und sich an die Bewegungsmarkierungen halten. Dimitri Durdaine hat etwas sehr Modernes in seiner physischen Ausstrahlung: seine Sanftheit umhüllt ihn wie ein Schild, macht ihn undurchdringlich. Sowas kann man nicht spielen. Er verkörpert auf ideale Weise (wie bei Dennis Cooper oder in den Filmen von Araki) in sich selbst ruhende Figuren, die plötzlich abgründig werden, wenn sie mit Chaos und Katastrophen konfrontiert werden. Ein schwarzes Loch, attraktiv und zerstörerisch. Erst nach monatelangem Suchen hatten wir ihn gefunden – und man wird noch viel von ihm hören!

BÉATRICE DALLE:

Schauspielerische Präsenz, das ist ein Körper, ein Blick, eine Stimme und ein Gang. Das reicht – und ist doch nicht einfach herzustellen. Ich war fasziniert von der Idee, die Präsenz von Béatrice Dalle mit der von Stéphane Rideau zu kombinieren: beides Ikonen in ihrem eigenen Reich. Beide zusammen zu sehen schafft in meinen Augen den perfekten Eindruck zweier Erwachsener, die zu spät aus ihrer glorreichen Jugend erwacht sind… Béatrices Rolle ist sehr wichtig in diesem Film: eine verantwortungsbewusste Mutter, aber undurchsichtige Frau, die unser Urteil über Vassili als Killer infrage stellt, weil er mit ihr und ihrem Sohn anders ist, väterlich, beschützend.

ZENSUR:

Es gibt eine offizielle Zensur (Freigaben ab 12 oder 16), die ihren Job macht. Das Problem ist aber eher, Blöße zu zeigen. Man zensiert sich selbst, sobald man an Fernsehausstrahlungen denkt, man weiß, dass das Publikum prüde und vorsichtig ist. Deshalb ist mir die Szene der Kolonoskopie so wichtig: weniger für die Handlung als für die Identität des Films. Man sieht ins Innere von Angelos Körper, über dessen Geschichte wir fast nichts wissen. Und in diesem Moment weiß das Publikum, dass das ein grenzenloser Film ist, dass darin alles passieren kann, dass man alles sieht und sich nicht mehr zurücklehnen kann…

Biografie

GAËL MOREL, geboren 1972 in Villefranche-sur-Saône, nördlich von Lyon. Schon mit 15 zog er von zu Hause aus und ging nach Lyon, um Filmregie zu studieren. Sein nächstes Ziel war 1994 Paris, wo er André Téchiné kennenlernte, der ihm die Hauptrolle in „Wilde Herzen“ („Les Roseaux Sauvages“) anbot. Der Film erhielt 1994 den César, Morel als Nachwuchsdarsteller eine Nominierung. Für ihn wie für seine Schauspielpartner*innen Élodie Bouchez, Stéphane Rideau und Frédéric Gorny wurde der Film zum Startschuss für eine erfolgreiche Karriere, die im Fall von Morel allerdings hieß, dass er seinen eigentlichen Traum, das Regieführen, in die Tat umsetzen konnte. Als Konstante stellte sich allerdings die Zusammenarbeit mit Stéphane Rideau heraus, der bereits in Morels erstem Kurzfilm, „La Vie à Rebours“ (1994), die Hauptrolle spielte, später ebenfalls in „À Toute Vitesse“ (1996, zusammen mit Bouchez), „Premières Neiges“ (1999, ebenfalls mit Bouchez), „Brüderliebe“ („Le Clan“, 2004) und der schließlich für „Unser Paradies“ nach längerer Abwesenheit wieder vor die Filmkamera zurückkehrte. 2001 spielten beide in André Téchinés loser Fortsetzung von „Wilde Herzen“, „Weit weg“ („Loin“).
Ohne Rideau entstanden 2003 der Spielfilm „Les Chemins de L’Oued“ (Fipresci-Preis beim Internationalen Filmfestival Toronto), „Après Lui“ (2007) mit Cathérine Deneuve, Guy Marchand und Élodie Bouchez, und – für das französische Fernsehen – „New Wave“ (2008) mit Béatrice Dalle.
Morel ist eng mit Regisseur Christophe Honoré befreundet, bei dessen Film „Chanson der Liebe“ („Chanson der Liebe“, „Les chansons d’amour“, 2007) er auch am Drehbuch mitwirkte.

Credits

Crew

Regie & Buch

Gaël Morel

Kamera

Nicolas Dixmier

Ton

Nicolas Waschkowski, Corinne Rozenberg, Marie Deroudille, Hervé Buirette

Schnitt

Catherine Schwartz

Musik

Camille Rocailleux, Louis Sclavis

Ausstattung

Zé Branco

Kostüme

Helena Gonçalves

Produktionsleitung

Thierry Cretagne

Produzent

Paulo Branco

Cast

Vassili

Stéphane Rideau

Angelo

Dimitri Durdaine

Anna

Béatrice Dalle

Victor

Didier Flamand

eine Koproduktion von Alfama Films und Rhône-Alpes Cinéma
mit der Beteiligung von Région Rhône-Alpes, CNC und Clap Filmes
mit Unterstützung von Procirep

im Verleih von Salzgeber