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Paragraph 175

ein Film von Rob Epstein und Jeffrey Friedman

USA 1999, 75 Minuten, englisch-französisch-deutsche Originalfassung, teilweise mit deutschen Untertiteln

FSK 16

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Paragraph 175

Etwa 100.000 Homosexuelle sind während der NS-Herrschaft in Deutschland inhaftiert und gefoltert worden. Zu Tausenden wurden Schwule und Lesben in deutschen Konzentrationslagern ermordet. Die Autoren und Regisseure Rob Epstein (Oscar-Preisträger für „The Times of Harvey Milk“) und Jeffrey Friedman, die bereits mit preisgekrönten Dokumentarfilmen wie „The Celluloid Closet“ Furore machten, zeichnen mit ihrem Film „Paragraph 175“ das Schicksal der Homosexuellen im Dritten Reich nach – einer lange Zeit vergessenen Opfergruppe.

Zeitzeugen der Gräueltaten des Nazi-Regimes stellen sich vor der Kamera ihrem Schmerz. Oft bitter, aber auch mit Ironie und Humor erzählen sie ihre Lebensgeschichten, die von Nichtanerkennung, Ausschließung und dem unbedingten Willen zu überleben bestimmt sind. Der Film gibt so Einblick in die Lebenswege von schwulen Männern im Dritten Reich – und dies ohne dokumentarische Bilder aus Konzentrationslagern. Es ist die Vorstellungskraft des Zuschauers, die das Grauen noch intensiver macht.

Trailer

Langinhalt

Die Verfolgung von Homosexuellen während der Zeit des Dritten Reichs ist ein Kapitel deutscher Geschichte, das im Bewusstsein der Öffentlichkeit bisher kaum Widerhall gefunden hat. In der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Terrors wurde das Thema geflissentlich nicht beachtet und die Opfer hüteten sich lange, aus Angst vor Repressalien, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Mit Rob Epstein (Oscar-Gewinner 1987 für „The Times of Harvey Milk“) und Jeffrey Friedman (gemeinsam mit Epstein Teddy-Gewinner 1996 mit „The Celluloid Closet“) haben sich die wohl bekanntesten schwulen Dokumentarfilmer des Themas angenommen.

Anlässlich der Premiere von „The Celluloid Closet“ waren beide 1997 in Amsterdam, wo sie die Bekanntschaft mit dem deutschen Historiker Dr. Klaus Müller machten, damals European Project Director des U.S. Holocaust Memorial Museums. Klaus Müller forschte seit 1990 nach schwulen Überlebenden der Nazi-Verfolgung und schlug den Regisseuren eine Zusammenarbeit vor, dieses nicht beachtete Kapitel der Geschichte einer breiten, internationalen Öffentlichkeit bekannt zu machen und Zeitzeugen zu suchen – eine Aufgabe, die sich angesichts der zeitlichen Distanz als schwierig erwies.

Überzeugt, diese Geschichte würde unwiederbringlich verloren gehen, wenn nicht rasch die Berichte der Überlebenden in Bild und Ton festgehalten werden, taten sich Epstein und Friedman mit den beiden Produzenten Janet Cole und Michael Ehrenzweig zusammen, um das Projekt zu lancieren. Nachdem mit Hilfe der Berlin-Brandenburg Film Förderung, britischer und amerikanischer Fernsehsender sowie eine Reihe privater Förderer eine Finanzierung gesichert war, begannen im Oktober 1997 die Dreharbeiten. Bis 1998 wurde in Deutschland, Spanien, Frankreich und England gedreht.

Fünf schwule Männer, alle weit über 90, waren bereit, über ihre Erlebnisse und traumatischen Erinnerungen zu berichten: Ausgehend von der leicht optimistischen Stimmung im Berlin der „Goldenen Zwanzigern“, in der das „dritte Geschlecht“ in den ersten Homo-Kneipen nach Erfüllung suchte, münden die Erzählungen der Zeitzeugen in jener Zeit, als die Illegalität und die Verfolgung des Homosexuellen als Abartigen bittere Realität wurde.

Was in der Berliner Freikörperkultur und Pfadfinder-Bewegung zaghaft, aber im Versteckten ausgelebt wurde, endete in Verurteilung, nach dem der Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuches homosexuelle Handlungen in den dreißiger Jahren unter strenge Strafe stellte: Dass Hitler mit Röhm bis 1934 ein schwuler Berater zur Seite stand, hatte das falsche Sicherheitsgefühl gefördert. Es kam anders, als die Schwulen glaubten. Während Juden mit einem Stern „markiert“ wurden, war der rosa Winkel im KZ die Brandmarkung des Homosexuellen.

Eindringlich sind die Schilderungen aus den Konzentrationslagern, wie etwa Freundespaare, die den gewaltsamen Tod des anderen mit ansehen mussten. Auf die optische Illustration wurde bewusst verzichtet: Leid spiegelt sich in den Gesichtern.

So ist denn der Charakter des Films „Paragraph 175“ sehr stark durch die Einzelschicksale des Fotografen Albrecht Becker, des Buchautoren Gad Beck, des Autors Heinz Dörmer („Alles nur wegen der Jungs“) und des nach des Annexion Frankreichs inhaftierten Pierre Seel geprägt. Einzelschicksale, die eindringlich beschreiben, welch ungeheures Unrecht den Homosexuellen widerfahren ist – bis heute übrigens ohne Anerkennung oder Wiedergutmachung durch die bundesdeutsche Regierung.

Galerie

Director's Statement
Rob Epstein und Jeffrey Friedman über ihren Film

„Als Schwule und Juden hatten wir offensichtliche persönliche Gründe, uns mit diesem Thema zu befassen. Wir fühlten eine gewisse Dringlichkeit das Projekt zu machen, solange es noch Zeugen gab, die uns über ihre Erlebnisse berichten konnten. Als Filmemacher waren wir darüber hinaus fasziniert von der Ambivalenz der Thematik. Da waren homosexuelle Opfer, da waren homosexuelle Widerständler und da waren homosexuelle Nazis und Sympathisanten. Und obwohl die Nazis kontinuierlich Homosexuelle verfolgten, propagierten ihre Gegner aufgrund der Homosexualität des SA Führers Ernst Röhm, dass alle Nazis schwul seien. Viele Schwule entgingen auch der Verfolgung. Wie konnten sie überleben? Was macht aus einer Person ein Helden und aus einer anderen einen Verbrecher?“

Hintergrund
Der § 175 StGB

Der § 175 stammt aus dem Allgemeinen Landrecht von 1794. Zwar kehrten sich die Preußen damit von der bis dahin geltenden Todesstrafe ab, bedrohten jedoch weiterhin „Sodomiterei und dergleichen unnatürliche Sünden“ mit Zuchthaus.

1871 bestand Preußen weiterhin darauf, dass der § 175 seines Strafrechts in das einheitliche deutsche Reichsstrafgesetz übernommen wurde. Da die „beischlafähnlichen Handlungen“ jedoch nicht in der Öffentlichkeit stattfanden, war die Ahndung schwierig. Das Augenmerk der Justiz lag mehr auf der exemplarischen Demonstration zur Einhaltung der Moral als auf der systematischen Verfolgung.

1935 wurde der einschlägige § 175 verschärft, indem der Begriff „widernatürliche Unzucht zwischen Männern“ durch „Unzucht mit Männern“ ersetzt wurde. Damit wurde der Straftatbestand erheblich über „beischlafähnliche Handlungen“ ausgeweitet. Mit der zusätzlichen Einführung des § 175 a stiegen auch die Strafen empfindlich.

Erst 1969 wurde die Bestrafung der einvernehmlichen Homosexualität unter Erwachsenen im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechtes aufgehoben und eine Alterschutzgrenze auf 21 Jahre festgelegt.

1973 wurde die Schutzaltersgrenze für strafbare homosexuelle Handlungen erwachsener Männer an und von männlichen Personen von 21 auf 18 Jahre gesenkt.

Erst die Vereinigung der beiden deutschen Staaten machte eine gleiche Behandlung von Homo- und Heterosexualität möglich. 1989 fiel in der DDR der §151 der unserem §175 gleichzusetzen war. Im Zuge der Gesetzesharmonisierung nach der deutschen Wiedervereinigung wurde 1994 der § 175 StGB gestrichen. Stattdessen sollen Jugendliche (Jungen und Mädchen) durch den § 182 StGB vor „Verführung“ geschützt werden.

§175 RStGB (1871)
Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

§ 175 RStGB (1935):
(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.

(2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.

§ 175a RStGB (1935):
Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, wird bestraft:

1. ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;

2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Missbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;

3. ein Mann über einundzwanzig Jahre, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;

4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht missbrauchen lässt oder sich dazu anbietet.

§ 175 StGB (1969):
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft:

1. ein Mann über 18 Jahre, der sexuelle Handlungen an einem anderen Mann unter 21 Jahren vornimmt oder an sich vornehmen lässt;

2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Missbrauch seiner durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an dem Täter vorzunehmen oder an sich von dem Täter vornehmen zu lassen, oder

3. ein Mann, der sexuelle Handlungen gewerbsmäßig an Männern vornimmt oder von Männern an sich vornehmen lässt oder sich dazu anbietet.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist der Versuch strafbar.

(3) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht von Strafe absehen.

§ 175 StGB (1973):
(1) Ein Mann über 18 Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter 18 Jahren vornimmt oder von einem Mann unter 18 Jahren an sich vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt war, kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

§ 175 StGB (1994):
aufgehoben

2002 hob der Bundestag die während der Zeit des Nationalsozialismus ergangenen Urteile auf.

Am 22. Juli 2017 wurden auch alle Urteile nach 1945 aufgehoben. Vorausgegangen war ein Gutachten im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das feststellte, dass eine Aufhebung der Urteile verfassungsrechtlich geboten sei.

Biografien

ROB EPSTEIN (Regie & Produktion), geboren 1955, hat als Cutter an zahlreichen Dokumentar- und Spielfilmen gearbeitet. Bereits sein Dokumentarfilm „Word Is Out“ über den Kampf von 26 homosexuellen Männern und Frauen für Gleichberechtigung wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 1981 war er Co-Produzent von Lucy Winters Dokumentation „Greetings From Washington, D.C.“, der einen Oscar erhielt. Seinen ersten eigenen Oscar gewann Epstein mit dem Dokumentarfilmklassiker „The Times of Harvey Milk“ (1985), bei dem er nicht nur an der Regie, sondern auch am Buch und am Schnitt beteiligt war und den er außerdem koproduzierte. „The Times of Harvey Milk“ erhielt ferner den New York Film Critics Circle Award für den Besten nicht-fiktionalen Film und einen Preis der amerikanischen Filmkritiker:innen, die ihn als einen der besten Dokumentarfilme des Jahrzehnts bezeichneten. Der Film wurde vom UCLA Film & Television Archive als Restaurierungsprojekt ausgewählt und erlebte seine erste Wiederaufführung (nun in 35mm) im Jahr 2000.

JEFFREY FRIEDMAN (Regie & Produktion), geboren 1951, trat als Kind auf New Yorker Off-Broadway-Bühnen auf. Anfang der 1970er Jahre wechselte er zum Film und wurde Schnittassistent, etwa bei William Friedkins „Der Exorzist“ (1973), Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“ (1980) und der Walt-Disney-Verfilmung „Wenn die Wölfe heulen“ (1983). Später war er als eigenverantwortlicher Cutter für das US-Fernsehen tätig.

1987 gründeten Epstein und Friedman in San Francisco die Produktionsfirma Telling Pictures. Ihre erste Gemeinschaftsproduktion war „Common Threads – Stories from the Quilt“ (1990), ein Dokumentarfilm über die Opfer des HI-Virus der ersten zehn Jahre. Auch für diesen Film gab es den Oscar für den Besten Dokumentarfilm, außerdem den Interfilm Preis der Berlinale und den Peabody Award. Mit ihrem nächsten Projekt „The Celluloid Closet“ (1995) feierten Epstein und Friedman erneut große Erfolge. Ihre Studie über die Darstellung von Schwulen und Lesben in Hollywood-Filmen wurde bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt und erhielt u.a. den Teddy der Berlinale 1995.

Mit „Paragraph 175“ (2000) deckten Epstein und Friedman ein bislang unbehandeltes Kapitel der Geschichte auf – die Erfahrungen von Schwulen im Nationalsozialismus (Fipresci-Preis und Teddy der Berlinale, Directing Award beim Sundance Film Festival u.a.).

Nebenher sind beide Filmemacher vielbeschäftigte Produzenten von dokumentarischen Formaten für das amerikanische Fernsehen, gefragte Dozenten und Ratgeber sowie Mitglieder in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences.

Gemeinsame Filmografie:
  • 1989

    „Common Threads – Stories from the Quilt“ (Dok.)

  • 1993

    „Where Are We? Our Trip Through America“ (Dok.)

  • 1995

    „The Celluloid Closet“ (Dok.)

  • 1999

    „Xtreme – Sports To Die For“ (TV)

  • 2000

    „Paragraph 175“ (Dok.)

  • 2002

    „Underground Zero“ (Segment „Isaiah’s Rap“) (Dok.)

  • 2005

    „An Evening With Eddie Gomez“ (Dok.)

  • 2006

    „Ten Days That Unexpectedly Changed America: Gold Rush“ (TV)

  • 2010

    „Howl – Das Geheul“

  • 2013

    „The Battle of Amfar“

  • 2013

    „Lovelace“

  • 2014

    „And the Oscar goes to“ (TV)

  • 2018

    „Endspiel“ (Dok.-KF)

  • 2019

    „State of Pride“ (Dok.)

  • 2019

    „Linda Ronstadt: The Sound of My Voice“ (Dok.)

Credits

Crew

Regie & Produktion

Rob Epstein, Jeffrey Friedman

Rechercheleitung & Coproduzent

Klaus Müller

Produzenten

Michael Ehrenzweig, Janet Cole

Kamera

Bernd Meiners

Schnitt

Dawn Logsdon

Buch

Sharon Wood

Musik

Tibor Szemzö

Ton

Al Nelson

Coproduzent

Howard Rosenman

Cast

Erzähler

Rupert Everett

eine Produktion von Channel Four Films, Cinemax, HBO Theatrical Documentary, Telling Pictures und Zero Film GmbH

im Verleih von Salzgeber

Weitere Filme von Robert Epstein

The Times Of Harvey Milk

ein Film von Robert Epstein

Common Threads – Stories from the Quilt

ein Film von Rob Epstein und Jeffrey Friedman