Mit Deutschland leben

von Benedikt Wolf

Broschur, 208 Seiten

Veröffentlichung: März 2020

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Mit Deutschland leben

Felix Rexhausen (1932 – 1992) gehörte als Schriftsteller, Journalist und Satiriker zu den wenigen Störenfrieden, die schon zu Beginn der 1960er Jahre dem Mief der Adenauer-Ära den Kampf ansagten. Seine undogmatische Vernunft war der Ideologie der Zeit in vielem voraus. Besonders drastisch bewies er dies in seiner Radioglosse Mit Bayern leben (WDR 1963), in der er das Hinterwäldlerische des Franz-Josef-Strauß-Lands jener Jahre aufspießte. Die Glosse löste einen Medienskandal aus und verschaffte Rexhausen einen Job als Kolumnist beim Spiegel. Sein Roman Lavendelschwert. Dokumente einer seltsamen Revolution (1966) wurde für kurze Zeit zum Kultbuch der sich gerade erst formierenden Schwulenbewegung. 2001 wurde der jährlich verliehene Medienpreis des Bundes lesbischer und schwuler JournalistInnen nach Rexhausen benannt, 2015 ein Platz am Kölner Hauptbahnhof.

Neben Hubert Fichte und Guido Bachmann gehörte Rexhausen in den 1960er Jahren zu den wenigen offen schwul auftretenden Autoren deutscher Sprache. Der Germanist Benedikt Wolf legt die erste Monografie zum Werk Rexhausens vor und entdeckt zahlreiche Aspekte in dessen zersetzenden Formspielen, die eine Rückbesinnung auf diesen heute fast vergessenen Autor überaus lohnend erscheinen lassen.

BIOGRAFIE

BENEDIKT WOLF, geboren 1985, ist Literaturwissenschaftler. Er arbeitet an der Universität Bielefeld. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem den Themenbereichen Sexualität und Literatur, literarische Mehrsprachigkeit und literaturwissenschaftliche Vorurteilsforschung, besonders Antiziganismusforschung. Er ist Mitherausgeber des Jahrbuch Sexualitäten und engagiert sich im Vorstand der Gesellschaft für Antiziganismusforschung. Letzte Veröffentlichungen sind Penetrierte Männlichkeit. Sexualität und Poetik in deutschsprachigen Erzählungen der literarischen Moderne (2018) sowie der Sammelband SexLit. Neue kritische Lektüren zu Sexualität und Literatur (2019).

LESEPROBE

Einleitung

1981 erschien in der Zeitschrift Twen ein Artikel über eine aufregende Subkultur. Er beginnt mit der Beschreibung eines Vorfalls beim Hamburger Konzert des US-amerikanischen Showpianisten Liberace, eines homosexuellen Mannes, der, so unfassbar homosexuell seine künstlerische Selbstdarstellung wirkte, zeitlebens gerichtlich gegen Presseberichte vorging, die ihm Homosexualität attestierten:

Als der amerikanische Prachtkitschgrossist «Mr. Showmanship» Liberace jüngst Europa verwöhnte, bot er seinen Riesenabend auch im Hamburger Congreß Centrum dar. Auf letztklassigen Plätzen ließen sich zwei Damen nieder, die außerordentlich erstklassig aufgemacht waren. Und dann bald: begeistert wie kaum sonstwer. Sie seufzten, tuschelten, verdrehten die Augen, schmachteten, juchzten, hechelten, schmatzten, gierten, gieksten; ihre anlaßgerecht üppigen Gewänder umhüllten zwei wahrhaft Hingerissene. In der Pause konnten die beiden reich geschmückten Liberace-Jüngerinnen denn auch nicht an sich halten. Entrüstet, erschüttert, empört eilten sie immer wieder auf irgendwelche Herrschaften zu und forderten grell zeternd Rechenschaft von ihnen: «Er ist so wundervoll! So einmalig! Und Sie – wie können Sie in einem solchen Karstadt-Kleidchen zu Liberace kommen?! Er ist so wundervoll, ach! Aber Sie – in Rock und Bluse hier! Im Blazer! Und wo sind ihre Juwelen! Wenn Sie keine haben, dann bleiben Sie doch von sowas weg! Gehen Sie zu Hagenbeck! So kann man sich doch für ihn nicht anziehen! Er ist so überirdisch wundervoll!»

Man ahnt, was hier los ist: Liberaces Hamburger Publikum wurde Opfer von Tunten – Tunten, die zu ihrer eigenen Freude anderen den Spaß verderben und hierin auf die Jämmerlichkeit dieses Spaßes und die verschüttete Möglichkeit einer Lust verweisen, die diesen Namen verdiente. Der Twen-Artikel stammt von dem Schriftsteller Felix Rexhausen, der seit 1966 in Hamburg lebte. Er zeichnet hier ein Porträt der Hamburger Tunten-Kultur. Die beiden Damen, die Liberace viel zu ernst nehmen und damit seinem Publikum dessen Schein der Ernsthaftigkeit entziehen, sind Gunter Schmidt und Corny Littmann, legendäre Tunten der Hamburger Szene. Littmann hatte 1980 von sich reden gemacht, als er in einer mediengestützten Aktion öffentlich einen Einwegspiegel auf einer Hamburger von Schwulen frequentierten Toilette zerschlagen und so auf die skandalöse Überwachung durch die Polizei aufmerksam gemacht hatte.

Der Schriftsteller Rexhausen, der selbst vor allem als Satiriker Bekanntheit erlangte, versteht die Aktion der beiden Tunten beim Liberace-Konzert als eine Form der Satire: «Die solcherart zurechtgewiesenen Herrschaften waren angewidert. Mißvergnügt erlebten sie: Satire, Satire auf Liberace und sein Publikum, in Szene gesetzt von Corny und Gunter.» Die beiden zitierend deutet Rexhausen auf einen spezifischen Zug in dieser Satire, einen schwulen Zug: «Eine Satire wie diese, sagen die beiden, ist schon von der Idee her schwul, und der Form wie dem Inhalt nach können nur Schwule sie auf die Beine stellen.» Und er führt aus:

Als schrille, in Damenkleidern steckende Männlichkeiten, als «Tunten» also ein feines Geldpublikum zu verarschen, das sich blöde genug ist, bei der Aufwandsgalatante Liberace zu hocken, und im übrigen hanseatisch normale, gesittet brave Menschheit darstellt, von zwei schrillen Tunten in einfach degoutanter Weise gestört: auf welchem anderen Mist als auf dem schwulen könnte diese Idee wachsen?

Das spezifisch Schwule, so deutet Rexhausen an, liegt in der (Ver-)Kleidung der Tunten und hängt mit dem Geschlecht zusammen: «in Damenkleidern steckende Männlichkeiten». Der Effekt dieser schwulen Taktik, die hier in eine Beziehung zum Geschlecht gesetzt wird, sei es, so impliziert es Rexhausens Text, den Gegensatz von Verkleidung und Kleidung aufzuheben oder alle Kleidung als Verkleidung zu entlarven: Das Publikum ist nicht einfach «hanseatisch normale, gesittet brave Menschheit», es stellt sie dar.

Auch Rexhausen wollte in einfach degoutanter Weise stören, und zwar die deutschen Zustände seiner Zeit in umfassender Weise. Dass er dafür physisch sogenannte Damenkleider angelegt hätte, ist mir nicht bekannt (ich will es keineswegs ausschließen). Doch er hat immer und immer wieder Verkleidungen – auch weibliche – angelegt: Kleider aus Sprache, die die Verkleidungen entlarven, in denen seinen Zeitgenossen das ideologische Gerede ihrer Gesellschaft entgegentrat. Das hört man schon im Ton der Darstellung des Twen-Artikels. Sprachlich macht sich die Phrase «in einfach degoutanter Weise» auf vertrackte Weise sowohl mit dem hanseatischen Bürgerpublikum als auch mit dessen Karikatur durch die beiden Tunten gemein.

Dieses Buch ist Rexhausens Spiel mit den sprachlichen Kleidern gewidmet. Es widmet sich dem Funktionieren dieses Spieles und seinen gesellschaftskritischen Implikationen. Es fragt besonders danach, welchen Stellenwert das Schwule in diesen Spielen hat und inwiefern Rexhausens Texte dieses Spiel auch in die Richtung von etwas transformieren, das über die journalistische Satire hinausgeht: in Literatur (die nicht mehr unbedingt satirisch sein muss).